Leitfaden zu Changeprozessen
Ein Beitrag von Daniela Koß
Der rasante Wandel der Gesellschaft stellt auch Kultureinrichtungen vor neue Herausforderungen und erfordert zeitgemäße Antworten auf die drängenden Fragen in Bezug auf das Selbstverständnis, das Aufgabenspektrum und die Programmatik. Vor diesen Herausforderungen, die mit der Digitalisierung und dem demografischen Wandel einhergehen, stehen nicht nur soziokulturelle Zentren sondern auch Einrichtungen der Kulturellen Bildung wie Jugendkunst- und Musikschulen ebenso wie Theater und Kulturvereine, Museen und Bibliotheken. Das Change Management bietet die Chance, mit der Unterstützung von Berater*innen neue Visionen und Strukturen zu entwickeln und Mitarbeiter*innen, Besucher*innen und Förderer gleichermaßen davon zu überzeugen. Ziel ist mit Hilfe der Organisationsentwicklung Probleme zu benennen und Lösungsstrategien zu entwickeln und umzusetzen.
Notwendigkeit der Transformation
Gegenwärtig steht vielerorts ein Generationenwechsel unmittelbar bevor oder wurde bereits vollzogen. Genauso wie die erste Generation der Gründer*innen das Image und die Inhalte einer Einrichtung bestimmt haben, muss heute geschaut werden, was zeitgemäß ist. Wo bedarf es einer Anpassung an die Digitalisierung oder die Hinwendung zu neuen Zielgruppen? Wieviel Social Media Marketing ist notwendig und wie gestaltet sich das Verhältnis von Haupt- und Ehrenamt heute? Das sind in der Regel die Themen, mit denen Kulturinstitutionen in einen Change Prozess starten. Allerdings tauchen im Prozess häufig neue Fragen auf, die bisher nicht thematisiert wurden. Dazu zählen die Überprüfung des eigenen Selbstverständnisses sowie der Struktur des Hauses, die Klärung der Zuständigkeiten und Fragen der Teamentwicklung. Bevor etwas inhaltlich Neues entwickelt werden kann, besteht erfahrungsgemäß die Notwendigkeit das Fundament einer Institution zu stabilisieren und eine gemeinsame Vision zu entwickeln. Das Fundament sind die Mitarbeiter*innen mit ihren Vorstellungen und Wünschen sowie die Beziehungen und die Kommunikation im Team.
Definition Change
”Change Management bedeutet das planvolle Management von Strategieprozessen und die nachhaltige und wirkungsvolle Umsetzung ihrer Ergebnisse in der Organisation.
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Notwendige Veränderungen sollen durch den Einsatz von Change Management besser planbar und damit erfolgreicher zu realisieren sein. Das Spektrum der Veränderungsinhalte reicht von der strategischen Ausrichtung bis hin zur Durchführung von Maßnahmen zur Persönlichkeitsentwicklung der Mitarbeiter. Anfangs definiert die Institution ihre Probleme und die daraus resultierenden Ziele, entwickelt Visionen und Lösungsstrategien und setzt diese anhand eines definierten „Fahrplanes“ um. Veränderungsmanagement zielt auf planmäßige, mittel- bis langfristig wirksame Veränderungen von Verhaltensmustern und Fähigkeiten mit dem Ziel einer Optimierung von Prozessen und Kommunikationsstrukturen. Es ist ein dauerhaftes und planmäßiges Vorgehen, bei dem die Ziele und Strategien regelmäßig überprüft werden, Umwege, Abzweigungen oder neue Wege dazu kommen können und flexibel auf Bedarfe reagiert wird.
8 Stufen für erfolgreiche Veränderung
Der Harvard-Professor und Buchautor John P. Kotter hat in den 1990er Jahren Veränderungsprojekte untersucht und beschreibt in seinem 8-Stufen-Modell eine Vorgehensweise für Veränderungen in Organisationen. Dabei entwickelt er das drei-Phasen-Modell von Kurt Lewin (Unfreezing, Changing, Refreezing) weiter. Es gibt noch andere Modelle, die im Kern identisch, jedoch unterschiedlich komplex sind. Hier soll nur auf das Modell von Kotter eingegangen werden. Laut Kotter scheitern mehr als die Hälfte der Veränderungsprozesse in Unternehmen noch in der Anfangsphase. Seiner Theorie folgend muss ein Veränderungsprozess folgende Stufen durchlaufen, damit dieser erfolgreich ist:
- Dringlichkeit erzeugen: Wer den Status quo durchbrechen und die Kulturinstitution verändern möchte, muss allen betroffenen Personen klar machen, wie dringlich der angestrebte Wandel ist. Die Dringlichkeit kann u.a. aus der Frage abgeleitet werden, welche Szenarien eintreten können, wenn keine Veränderung vollzogen wird. Die Dringlichkeit muss stark und allen Mitarbeitenden bewusst sein, damit der folgende Prozess auch funktionieren kann.
- Eine Führungskoalition aufbauen: Der Leitung kommt die Aufgabe zu, das Change Projekt von Anfang an zu unterstützen und ein mit der Umsetzung beauftragtes Team zusammenzustellen. Das Führungsteam sollte aus verschiedenen Abteilungen stammen und über verschiedene Kompetenzen verfügen. Ein Change Prozess muss von allen wichtigen Entscheidungsträger*innen gewollt und unterstützt werden. Nur wenn die Leitungsebene geschlossen hinter dem Veränderungsprozess steht, kann ausreichend Kraft für die Veränderungen entfaltet werden.
- Eine Vision entwickeln: Über den Nachweis der Dringlichkeit zum Handeln hinaus, müssen eine Vision und eine Strategie für die Umsetzung des Wandels entwickelt werden. Eine gute Vision hilft dabei, natürlichen Widerstand zu überwinden und das zu tun, was notwendig ist und was auf alle motivierend wirkt. Vision und Strategien sollten greifbar, verständlich und inspirierend sein.
- Die Vision kommunizieren: In der letzten der vier unter dem Oberbegriff „Auftauen des verhärteten Status quo“ zusammengefassten Stufen gilt es, den Wandel in das Unternehmen hinein zu kommunizieren. Wer Veränderung will, muss rechtzeitig mitteilen, warum, durch wen und wie das erfolgen soll. Somit müssen alle zur Verfügung stehenden Kanäle (Workshops, Meetings, Leitfäden, Mailings oder Informationsveranstaltungen) genutzt werden, um den Wandel zu kommunizieren.
- Mitarbeiter*innen auf breiter Basis befähigen: Wer einen Wandel im Unternehmen herbeiführen will, möchte laut Kotter „neue Verhaltensweisen einführen“. Dies ist die Überschrift der Schritte fünf bis sieben. Ungünstige Organisationsstrukturen, Arbeitsabläufe und Routinen sollen abgebaut und den Mitarbeitenden Platz für Eigenverantwortung eingeräumt werden. Die Mitarbeitenden werden den Wandel allerdings nur mittragen, wenn sie auch fachlich dazu in der Lage sind . Daher müssen durch Fortbildungen oder Workshops die Mitarbeitenden für die neuen Aufgaben qualifiziert werden. Hinzukommen Widerstände und Hindernisse, die häufig Teil jedes Veränderungsprozesses sind und in vielen sicht- und unsichtbaren Formen auftreten. Wichtig ist, die Hindernisse ernst zu nehmen und zu würdigen und mit Entschiedenheit aus dem Weg zu räumen.
- Schnelle Erfolge erzielen: Gesorgt werden sollte für „Quickwins“, also schnelle, im Arbeitsalltag sichtbare Ergebnisse. Nachdem die Entscheidungen möglichst im Team erarbeitet wurden, sollten sie innerhalb eines bestimmten Zeitfensters im Betrieb implementiert werden. Bei erfolgreichen Veränderungsprozessen werden die Fortschritte für die Beteiligten relativ schnell erlebbar. Ist die Zeitdauer zu lang, bleibt der Prozess zu abstrakt und die Unterstützung der Mitarbeiter*innen versandet. Nichts ist frustrierender, als wenn das Team das Gefühl bekommt, die Dinge, die im Change Prozess bearbeitet worden sind, kommen nicht voran.
- Erfolge konsolidieren und weitere Veränderungen einleiten: Tiefgreifende Veränderungen nehmen viel Zeit in Anspruch. Nach jedem erreichten Ziel sollte dieses evaluiert werden und ggf. neue Ziele definiert werden, um einen steten Veränderungsprozess sicherzustellen. In dieser Stufe bietet sich auch die Chance, den Prozess mit neuen Projekten und Themen wieder zu beleben.
- Neue Ansätze in der Kultur verankern: Erst wenn erreichte Ziele fest in der Unternehmenskultur verankert sind, kann laut Kotter von einem erfolgreichen Change Management-Prozess gesprochen werden.
Fazit
Trotz der Vielzahl von Ansätzen der verschiedenen Change Management Modelle besteht grundsätzlich Einigkeit darüber, dass bestimmte Faktoren als Fundament für alle erfolgreichen Veränderungsprozesse gelten. Dazu gehören:
- Eine gute Kommunikation mit dem Team.
- Eine präzise Visions-, Strategie- und Zielentwicklung.
- Die frühzeitige und ganzheitliche Beteiligung des Teams.
- Hohe Motivation, Befähigung und Qualifizierung für die Veränderungen von Seiten der Führungsebene und der Mitarbeitenden.
Unterstützung durch eine*n Berater*in
Veränderungsprozesse benötigen Zeit und dauern i.d.R. ein oder mehrere Jahre. Es ist nicht zwingend notwendig, aber sehr hilfreich, den Prozess von mindestens einem/r kompetenten Berater*in begleiten zu lassen.
”Coaching ist eine gleichberechtigte, partnerschaftliche Zusammenarbeit eines Prozessberaters mit einem Klienten. Der Klient beauftragt den*die Berater*in, ihm behilflich zu sein: bei einer Standortbestimmung, der Schärfung von Zielen oder Visionen sowie beim Entwickeln von Problemlösungs- und Umsetzungsstrategien.
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Es ist von größter Bedeutung eine*n qualifizierte*n Berater*in zu finden, der*die den Anforderungen gerecht wird und die Fäden in der Hand hält. Nur wenn „die Chemie stimmt“, kann das Verhältnis über einen Zeitraum von mehreren Jahren vertrauensvoll und konstruktiv gestaltet werden. Es gibt allerdings massive Unterschiede in der Qualifikation, dem Selbstverständnis und den Arbeitsmethoden der Berater*innen. Hier hilft genaues Hinschauen und Ausloten, wer zu den eigenen Bedarfen passt.
Wichtig ist ein ganzheitlicher Beratungsprozess, der neben der Fachberatung auch Prozessberatung, systemische Organisationsentwicklung, Teamentwicklung, Supervision, Mediation, Führungskräfteentwicklung, Controlling usw. beinhalten. Es stellt sich bei jedem Prozess heraus: Wenn in den Einrichtungen Change Management ernsthaft angegangen wird, dann ziehen diese Change Prozesse grundsätzlich auch Team- und Führungskräfteentwicklung nach sich. Oder umgekehrt: In den meisten Fällen scheitern Change Prozesse am eigenen Team oder an der eigenen Führungskraft. Die Anforderungen an eine*n Berater*in sind sehr komplex und von einer Person häufig nicht leistbar. Daher benötigt man für die unterschiedlichen Themenbereiche mehrere Berater*innen bzw. zusätzliche Schulungen.
Mit Hilfe der Berater*innen werden die Probleme benannt, die Ziele definiert und die Strategie und der dazugehörige Zeitplan entwickelt. Inhalt und Tempo bestimmt die Kulturinstitution selbst. Der*die Berater*in unterstützen und strukturieren den Prozess, geben Anregungen und Hilfestellungen, aber die Entscheidungen werden im Betrieb getroffen, umgesetzt und verantwortet. Am Ende des Prozesses sollte anhand der selbstgesteckten Ziele überprüft werden, welche Vorhaben erfolgreich erarbeitet wurden, was an neuen Herausforderungen hinzukam bzw. was verloren ging.
Vision und Leitbildentwicklung
Es lohnt sich, Energie in die Erarbeitung einer inspirierenden Zukunftsvision zu investieren. Bereits das gemeinsame Erschaffen der Vision bringt ersten Nutzen: Eine starke Zukunftsgemeinschaft entsteht, die weiß, wofür sie steht und wohin die Reise geht.
Die Vision als Kraftquelle im Change
„Eine Vision ist die Vorstellung davon, wie ein Unternehmen in Zukunft aussehen soll. Sie beschreibt langfristig gesehen den Sinn eines Unternehmens und gibt die Richtung der Unternehmensentwicklung vor“. (Vgl. Hungenberg 2014)
Ein positiv verankertes Zukunftsbild mobilisiert neue Kräfte im Team, gibt Orientierung und hilft Ressourcen zu erschließen. Nur wenn alle Mitarbeiter*innen ein gemeinsames Ziel bzw. eine gemeinsame Vision haben, kann diese auch erreicht werden. Die Vision sollte daher realistisch formuliert werden und möglichst die Fantasie aller Beteiligten beflügeln. Eine Vision kann man vor dem inneren Auge sehen und sie entfaltet Strahlkraft. Sie muss einerseits in der Lage sein, Menschen zu begeistern und andererseits handelt es sich um den „roten Faden“, der sich durch alle Aktivitäten der Kulturinstitution zieht.
Leitbild: Alle in einem Boot!
Ziel eines Leitbildes ist die Entwicklung einer einheitlichen Identität und die Ausrichtung aller vorhandenen Bereiche einer Organisation (Geschäftsstelle, Gremien, Ehrenamtliche etc.) auf die gemeinsame Zielsetzung. Ein Leitbild fasst die Vision, die Mission und die Ziele der Einrichtung zusammen. Es ist auch Ausgangspunkt für einen Change Prozess, um alle Beteiligten mit „ins Boot“ zu bekommen, sich neu aufzustellen und die Zukunft gemeinsam zu gestalten. Daher sind die Beteiligung aller relevanten Mitarbeiter*innen und die gemeinsame Entwicklung des Leitbildes von größter Bedeutung. Das Leitbild soll nach außen informieren und nach innen Orientierung geben.
Ein gutes Leitbild beantwortet die Fragen:
- Wofür stehen wir?
- Was machen wir?
- Wie und warum machen wir es?
So einfach und selbstverständlich sich diese Fragen erst einmal anhören, so schwierig ist die Einigung aller Führungspersonen auf eine Antwort. Bereits innerhalb eines Teams, besonders aber zwischen ehrenamtlichem Vorstand und der Geschäftsstelle, weichen die Antworten häufig eklatant voneinander ab. Ist eine Kultureinrichtung z. B. nur Veranstalter oder auch Dienstleister und Servicestelle? Wird nach qualitativen, quantitativen, nachhaltigen oder sozialen Maßstäben entschieden? Ist man offen für alle oder will man nur ein gezieltes Publikum erreichen? Gilt die Vision auch für alle Mitarbeiter*innen? Wo soll die Institution in zehn Jahren stehen? Aus den Antworten lässt sich ein allgemeingültiges Leitbild formulieren, welches im Arbeitsalltag als Leitsystem dienen soll. Es gibt Halt und Orientierung, trägt zur Geschlossenheit bei und dient als Entscheidungshilfe.
Im Zuge der Leitbildentwicklung werden die unterschiedlichen Sichtweisen im Team deutlich. Diese Auseinandersetzungen sind notwendig, damit letztendlich alle eine gemeinsame Vorstellung von der Zukunft haben. Die Leitbildentwicklung bringt einerseits häufig die gewünschte Orientierung und Einigkeit, kann andererseits auch zu Verwerfungen und Kündigungen führen. Dies geschieht, wenn der Dissens zu groß ist und die neue Ausrichtung von einigen im Team nicht mitgetragen werden kann. Die entsprechenden Mitarbeiter*innen verabschieden sich und die freien Stellen werden neu besetzt. Mit solchen Konsequenzen muss in Veränderungsprozessen zumindest gerechnet werden.
Ein Leitbild sollte langfristig gelten und braucht nach der präzisen Formulierung nachhaltige Implementierung in den Betrieb, damit es gelebter Alltag wird und nicht nur ein „Stück Papier“ bleibt. Die Erfahrungswerte zeigen, dass die Entwicklung des Leitbildes von den meisten Mitarbeiter*innen mit großer Begeisterung vorangetrieben wird, allerdings die Umsetzung und weitere Reflexion des eigenen Handelns schnell wieder vernachlässigt werden. Eine Möglichkeit, das Leitbild immer wieder zu thematisieren, ist zum Beispiel, es zum integralen Bestandteil von Feedbackgesprächen oder Meetings zu machen. In diesem Rahmen kann geklärt werden, inwiefern die Inhalte des Leitbildes bereits gelebte Realität sind und wo noch nachgesteuert werden muss.
Der Status Quo: Wo steht die Institution momentan?
Bewährt hat sich im Bezug auf den gesamten Change Prozesses ein mindestens dreiteiliger Strategieprozess bestehend aus der Definition einer Vision bzw. eines Leitbildes, einer Ist-Analyse unter Anwendung von SWOT- und Stakeholderanalyse und die anschließende Entwicklung von Strategiemaßnahmen und deren Umsetzung.
SWOT – Eine Stärken-Schwächen-Chancen-Risiken-Analyse
Die SWOT-Analyse ist eine gängige Methode zur Positionsbestimmung. Dabei steht die Abkürzung SWOT für die englischen Begriffe Strengths (Stärken), Weaknesses (Schwächen), Opportunities (Chancen) und Threats (Bedrohungen). Der wichtigste Zweck der SWOT-Analyse ist eine möglichst realistische und zuverlässige Einschätzung der Ausgangslage zu bekommen. Sie soll dazu beitragen, die Strategie der Institution festzulegen, die Ressourcen und Budgets richtig einzusetzen, Projekte anzustoßen und Maßnahmen zu ergreifen. Geschaut wird auf das interne und externe Umfeld der Institution. Zum internen Umfeld zählen die individuellen Stärken und Schwächen der Kultureinrichtungen wie zum Beispiel Finanzen, Personal, Image, Erfahrung, Kundenbindung, Programmatik und Mitarbeiterzufriedenheit. Zum externen Umfeld gehören Trends und Veränderungen im politischen (Regierungswechsel), kulturellen (Generationenwandel), rechtlichen (Arbeitsrecht und Datenschutz) und technologischen (Digitalisierung) Umfeld. Hinzu kommen Sondereinflüsse wie veränderte Rahmenbedingungen z. B. durch neue Konkurrenten im direkten Umfeld.
Aus den Antworten, die geclustert und priorisiert werden, ergeben sich bereits erste Handlungsoptionen.
Das Kernproblem der SWOT-Analyse liegt häufig darin, die Chancen, Risiken, Stärken und Schwächen zu erkennen und ehrlich zu benennen. Viele Kultureinrichtungen und Mitarbeiter wollen drohende Gefahren wie Publikumsschwund oder drohende Insolvenz etc. nicht wahrhaben und sperren sich gegen notwendige Veränderungen. Nach dem Motto „Das haben wir schon immer so gemacht“ oder „Das haben wir doch längst schon alles ausprobiert“ werden aufkommende Ideen sofort im Keim erstickt.
Umfeldanalyse – Stakeholderanalyse
Das Ziel einer Stakeholderanalyse besteht in der systematischen Ermittlung aller für die Kulturinstitution relevanten Akteure wie Zuschauer*innen, Förderer*innen, Künstler*innen, Zulieferer*innen oder Konkurrent*innen und deren Bewertung. Diese Personen sind sogenannte Stakeholder, also Interessenträger. Mit der Stakeholderanalyse werden potenzielle Barrieren und mögliche Behinderungen durch Personen oder Institutionen ermittelt. Es geht nicht darum, es allen Akteur*innen recht zu machen, sondern Stakeholder mit hohem Konfliktpotenzial zu identifizieren, sie in die Risikoplanung mit einzubeziehen, frühzeitig Gegenmaßnahmen zu planen und die Kommunikationspolitik stakeholderspezifisch zu gestalten.
Strategie: vom IST zum SOLL
Die Stakeholder- und SWOT-Analyse oder die Leitbildentwicklung beinhalten noch keine Strategieplanung. Sie beschreiben nur bestehende Zustände oder zeigen auf, welche Entwicklungen oder Ereignisse in der Zukunft möglich sind. Die Handlungsoptionen werden auf Grundlage der Analysen und Antworten entwickelt. Im Rahmen der Strategieplanung werden daraus Aktionen und Maßnahmen abgeleitet, entwickelt und beschrieben, die anschließend umgesetzt werden sollen. Es hat sich bewährt, die Maßnahmen möglichst detailliert auszuarbeiten, genau zu terminieren sowie Zuständigkeiten klar zu benennen.
Gemeinsam mit den*der Berater*innen werden die Probleme, Maßnahmen und Ziele besprochen sowie ein Zeitplan festgelegt und die entsprechenden Kosten kalkuliert. Diese Form der Analyse und Klärung der anstehenden Fragestellungen in Form von Strategietagungen oder Zukunftswerkstätten hat sich in der Praxis bewährt.
Gelingensbedingungen für Change Prozesse
Es gibt vier wesentliche Eckpunkte, die zum Gelingen der Prozesse beitragen:
- Welche Probleme gibt es? Sind diese ausreichend formuliert und für alle klar? Gibt es ein Ranking, in welcher zeitlichen Reihenfolge was bearbeitet werden soll? Auch hier gilt: Nicht zu viele Baustellen gleichzeitig aufmachen, sondern realistisch einschätzen, was in welchem Zeitraum leistbar ist.
- Gibt es klare Zuständigkeiten? Wer ist für was verantwortlich? Wer kontrolliert die Ergebnisse und treibt den Prozess bzw. Teile davon voran? Was geschieht, wenn nichts geschieht oder Beschlüsse nicht umgesetzt werden? Eine der größten Schwierigkeiten ist, die erarbeiteten Beschlüsse in den Arbeitsalltag zu implementieren und nicht wieder in die alten Muster zurück zu fallen. Daher sollte dieser Schritt immer wieder überprüft werden.
- Sind alle an Bord? Nur wenn möglichst alle relevanten Personen und ein Großteil des Personals mit einbezogen werden, kann ein Change Prozess gelingen. Minimum sind i.d.R. die Geschäftsleitung, der Vorstand und die Bereichsleitungen. Gute Change Manager*innen sind sich sehr bewusst, dass vor allem die Menschen überzeugt werden müssen, diesen neuen Weg zu gehen. Neben all den strategischen Planungen und Implementierungen ist daher der wichtigste Faktor, alle Beteiligten mit auf die Reise zu nehmen, damit die Neuerungen auch wirklich gelebt werden. Wer diesen Punkt beherzigt und in guter Kommunikation mit seinem Team arbeitet, hat schon halb gewonnen.
- Ist das Ziel spezifisch, messbar, erreichbar und realistisch formuliert und terminiert? Es reicht z. B. nicht aus, das Image einer Institution verjüngen zu wollen, sondern es braucht klare messbare Kriterien, woran dieser Imagewechsel erkennbar wird wie z. B. neue Angebote für Kinder und Jugendliche, die Nutzung von Facebook und Instagram (Clickability) oder der Aufbau von neuen Netzwerken.
Wenn diese vier Bereiche klar definiert sind, sind die grundlegenden Voraussetzungen für einen Change Prozess geschaffen. Entscheidend für einen erfolgreichen Prozess ist außerdem, dass immer wieder selbstkritisch die Phänomene und das eigene Handeln reflektiert und analysiert werden und sich auf die Zielsetzung besonnen und diese möglicherweise angepasst wird. Eine vielseitige und ehrliche Kommunikation auf allen Ebenen ist Grundvoraussetzung für das Gelingen eines Prozesses. Nur so können Ängste, Störungen und Rückfälle bewältigt werden. Diese gehören zu einem Change Prozess dazu und zeigen, dass sich Dynamiken entfalten.
Zeit, Zeit und nochmals Zeit
Es sollte außerdem genügend Zeit und Raum eingeplant werden. Ein Change Prozess benötigt zusätzliche zeitliche Kapazitäten und ist i.d.R. im normalen Arbeitsalltag nicht abbildbar. Ansonsten führt die zusätzliche Belastung schnell zu einer Überforderung und somit zu einer Ablehnung des Change Prozesses. Aus systemischer Perspektive betrachtet haben soziale Systeme die Tendenz, sich zunehmend zu destabilisieren, wenn die Anforderungen von außen steigen und es keine ausreichende Gelegenheit zur Integration des Neuen gibt.
Verlauf von Prozessen: Ups and downs
Einrichtungen, die sich auf den Weg gemacht haben, um sich zukunftsfähig aufzustellen, berichten von vielen unvorhergesehenen Dingen, welche den Change Prozess begleiten: Höhen und Tiefen, Fort- und Rückschritte, Stagnation und Frustration aber auch Glück und Stolz über das Erreichte. Der Verlauf der Prozesse ist i.d.R. nicht linear. Selbst wenn die Handlungsstrategien professionell geplant werden, ergeben sich fortwährend neue Herausforderungen, die eine stetige Anpassung der Strategien erfordern. Diese aufkommenden prozessimmanenten Themen sollten nicht ignoriert, sondern vordergründig bearbeitet werden. Dazu gehören z.B. die Neubesetzung von Stellen oder massive interne oder externe Widerstände.
Emotionen: Ängste, Widerstände, Wut
Nicht jede Veränderung ist willkommen und wird automatisch von allen befürwortet. Es gibt die Vorantreiber*innen und Unterstützer*innen aber auch die Skeptiker*innen und Gegenspieler*innen. Nicht zu unterschätzen sind auch die emotionalen Reaktionen vieler Beteiligter auf Veränderungen. Sie können sich nach Richard K. Streich in sieben Phasen abspielen: Es beginnt mit Schock und Ablehnung und führt im besten Fall über Einsicht und Akzeptanz zum Ausprobieren, zu neuer Erkenntnis und final zur Integration in den Betrieb. Viele Menschen halten an dem fest, was sie kennen und reagieren auf Neuerungen mit Ängsten oder zumindest mit Sorgen. Sie haben Angst um ihren Status, ihre Freiräume, ihre Sicherheit oder liebgewonnene Aufgaben. Werden diese Ängste nicht kommuniziert und kanalisiert, so können daraus Verweigerungshaltungen und Widerstände resultieren, die den gesamten Prozess ernsthaft gefährden. Diese Sorgen des Teams in Bezug auf die Veränderungen möglichst frühzeitig wahrzunehmen, sensibel zu thematisieren und ernst zu nehmen, gehört zu den schwierigen Aufgaben in Change Prozessen.
Konflikte, Missverständnisse, Teamdynamik: Der „Faktor Mensch” bietet reichlich Stolperfallen! – Das Eisbergmodell
Ein Modell zum Darstellen der Unternehmenskultur ist das sogenannte Eisbergmodell, das erstmalig von Freud eingeführt wurde und von Paul Watzlawick und Edgar Schein u.a. weiterentwickelt wurde. Es entscheidet explizit zwischen den sichtbaren und den nicht-sichtbaren Elementen einer Unternehmenskultur. Zu den sichtbaren Elementen gehören Räume, Kleidung und die gesamte Kommunikation, aber auch die offensichtlichsten Hindernisse für Änderungen wie Kosten, Qualität und Zeit, die nur die Spitze des Eisbergs darstellen. Die einflussreicheren Barrieren liegen häufig darunter. Diese nicht-sichtbaren Elemente sind die eigentlich wichtigen, da sie das Verhalten der Menschen bestimmen. Hierzu gehören Gefühle, Wertevorstellungen, Überzeugungen, Macht und Politik und die Grundbedürfnisse wie z.B. Sicherheit. Auch das gelebte Leitbild der Einrichtung gehört dazu: Wofür steht die Institution, wie geht sie mit den Künstler*nnen und Besucher*innen um, ist sie Veranstalter oder Dienstleister, wie kommenziell sind die Agebote, nach welchen Kriterien wird entschieden etc.
Von einem Eisberg sind nur zehn bis 20 Prozent tatsächlich sichtbar. Der viel größere und bedeutendere Teil eines Eisbergs befindet sich unterhalb der Wasseroberfläche. Je nach Art der Veränderung müssen die emotionalen und unbewussten Aspekte eines Veränderungsprozesses mehr oder auch weniger betrachtet werden. Es ist immer die Frage, ob sich nur oberflächliche Themen ändern oder ob Werte und Denkweisen angepasst werden müssen. Entsprechend sind auch Lösungen von Konflikten mit Hilfe des Eisbergmodells möglich, indem untersucht wird, was dem Konflikt eigentlich zugrunde liegt. Mit Konflikten ist es wie mit Eisbergen: Nur ein kleiner Teil der Ursache ist sichtbar.
FAZIT
Komplexe Veränderungen zeichnen sich besonders dadurch aus, dass sie voller ungeplanter Überraschungen sind, sie keinem vorhersagbaren Muster folgen und sich keine Routinen ergeben. Häufig werden die Herausforderungen, die persönlichen Dynamiken sowie der Zeiteinsatz unterschätzt.
Anfangs werden die Ziele sehr hochgesteckt und alle möchten schnell hervorragende Ergebnisse erzielen, um dann im Prozess zu lernen, dass Veränderungen viel mehr Zeit brauchen als erwartet und Einzelne im Team schnell überfordert sind. Sind die Höhen und Tiefen jedoch gemeistert und die neuen Routinen etabliert, so steht die Kulturinstitution auf einem stabilen Fundament, das Team hält zusammen und ist fit für die Zukunft. Dann können die nächsten Herausforderungen ruhig kommen!
