Megatrends und ihre Auswirkungen auf die Kultur
Ein Beitrag von Daniela Koß und Marion Dunkert
Alle modernen Gesellschaften unterliegen einem Wandel, der immer auch einen kulturellen Wandel, also einen Wandel sowohl von Lebensformen (Kultur im weiten Sinne) als auch von künstlerischen Ausdrucksformen (Kultur im engeren Sinne) einschließt. Wandel resultiert aus einer Vielzahl von Ursachen und ist dadurch ein hochkomplexer Vorgang. Es ist genau diese Komplexität, die einerseits das Verständnis von Wandel erschwert und andererseits genaue Prognosen für eine weitere Zukunft erheblich einschränkt.
Einen Ansatz, sich mit gesellschaftlichen Transformationsprozessen zu beschäftigen, bietet das Konzept der sogenannten Megatrends. Mit diesem Begriff werden langfristige Einzelentwicklungen bezeichnet, die sich zu komplexen Wandlungsvorgängen überlagern. Megatrends verändern die Welt – zwar langsam, dafür aber grundlegend und langfristig.
Bei den folgenden Punkten handelt es sich um eine Auswahl der aktuellen Megatrends, die das Leben der Menschen und alle Ebenen der Gesellschaft beeinflussen: Wirtschaft und Politik, Wissenschaft, Technik und Kultur. Was bedeuten diese Trends für Kultureinrichtungen und wie können diese reagieren, um zukunftsfähig zu bleiben?
Der demografische Wandel

Unsere Gesellschaft wird tendenziell immer älter, weniger und diverser. Nach Modellberechnungen wird die Weltbevölkerung weiterwachsen, während in Deutschland die Zahlen bis 2060 auf 65 bis 70 Millionen Menschen zurückgehen. Das wären bis zu 18 Millionen Einwohner*innen weniger als heute. Von den übrigen gehen ca. 30 % in Kürze in Rente. Der hohe medizinische Standard garantiert allerdings eine gesteigerte Lebenserwartung sowie eine gewisse Beweglichkeit im Alter. Faktisch steigt die Lebenserwartung der Menschen und sie bleiben länger agil, mobil und nutzen entsprechend Kulturangebote.
Gleichzeitig zeigen Prognosen zum gesellschaftlichen Wandel, dass in den deutschen Städten in Kürze unter den 15-jährigen Kindern und Jugendlichen ca. 40 % mit Migrationshintergrund sein werden. Durch globale Migrationsströme sind außerdem Themen wie Zuwanderung und Integration auch in Deutschland als zentrale gesellschaftliche Themen in den Fokus gerückt.
Herausforderung für die Kultur
Die Kultur ist gefordert, neue Formate zu finden und Angebote speziell für Ältere zu entwickeln – zum Nutzen der Zielgruppe, aber auch zum Nutzen der Kulturinstitutionen selbst. Seniorenprogramme, die sich Menschen über 65 differenziert widmen, sie mit einbinden und innovative Ansätze verfolgen, könnten wahre Motoren in der Kulturentwicklung werden.
Wenn unsere Gesellschaft nicht nur älter sondern auch diverser wird, soll-ten auch hier neue Konzepte, Formate und Strategien entwickelt werden, um auf die zukünftigen Bedarfe zu reagieren. Eine an Diversität orientierte Kulturpolitik zeichnet sich dadurch aus, dass die Begegnung und der Dialog zwischen den Akteuren der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen im Vordergrund stehen. Es geht darum, die Voraussetzungen der kulturellen Teilhabe für möglichst viele Menschen zu schaffen. Für den Kulturbetrieb bedeutet Diversitätsmanagement im Wesentlichen drei Punkte:
- Es sollten Barrieren abgebaut werden, damit die Kulturschaffenden migrantischer Herkunft die gleichen Chancen wie Deutsche haben: entweder, indem sie selbst künstlerisch arbeiten und produzieren oder in unterschiedlichen Positionen, aber auch in Leitungspositionen in Kultureinrichtungen arbeiten.
Zum Diversity-Management zählt auch die Besetzung von Gremien, Jurys oder Beiräten mit Personen mit Migrationshintergrund. Dieses gilt für Politik und Verwaltung gleichermaßen wie für die Kultur. - Zweitens geht es um die Programmatik der Institutionen, also inwieweit auch Themen und Kunstformen aus den Herkunftsländern von Migrantinnen und Migranten in die Angebote der Kulturinstitutionen integriert werden.
- Zum Dritten besteht die Herausforderung darin, ein migrantisches Publikum überhaupt erst einmal zu gewinnen und zu binden. Hierzu möchten wir auf die Ergebnisse des interkulturellen Audience Development von Frau Prof. Birgit Mandel verweisen.
Gesellschaftliche Disparitäten

Die Welt wird ungleicher. Das Wirtschaftswachstum kommt den ohnehin schon wohlhabenden Bevölkerungsschichten zugute. Bei einer steigendenden Wohlstandskonzentration für manche, nehmen in ärmeren gesellschaftlichen Gruppen die prekären Lebensverhältnisse zu. Immer mehr Haushalte sehen sich von finanzieller Armut und einer damit einhergehenden sozialen Exklusion bedroht.
Herausforderung für die Kultur
Besonders Kunst und Kultur bieten vielfache Möglichkeiten des Austauschs, stärken die Gemeinschaft und haben das Potenzial, Brücken zwischen den Kulturen und Generationen zu bauen und zu mehr Verständnis für den jeweils anderen beizutragen. Grundvoraussetzung dafür ist, Teilhabe und nied-rigschwellige Zugänge zu ermöglichen und z. B. finanzielle Barrieren möglichst gering zu halten. Viele Kulturinstitutionen bieten daher besondere Sozialtarife oder freien Eintritt für Menschen mit geringem Einkommen an. Zusätzlich werden gezielte Vermittlungsangebote sowie partizipative Projekte im Stadtteil für sozial benachteiligte Menschen benötigt. Die kulturelle Bildung spielt hierbei ein Schlüsselrolle, um besonders Kindern und Jugendlichen kulturelle Teilhabe zu ermöglichen, sie zu begeistern und Barrieren abzubauen.
Digitalisierung und Technologisierung

Informations- und Kommunikationstechnologien sind allgegenwärtig und erobern inzwischen alle Lebensbereiche. Durch immer schneller werdende Datenverbindungen schafft die Digitalisierung einen beschleunigten, einfachen und demokratischen Zugang zu Wissen und kulturellen Inhalten. Auch Live-Partizipation und umfassende Vernetzung sind durch virtuelle Realitäten und Social Media mit der ganzen Welt möglich. Zudem erlauben Fortschritte im Bereich der Künstlichen Intelligenz die Analyse und Interpretation riesiger Datenmengen in Echtzeit und eröffnen mit deren Verarbeitung neue Welten.
Die nächste Generation der sogenannten „digital natives“ geht zum Beispiel ganz selbstverständlich mit virtuellen Realitäten um, entwickelt neue digitale Formate oder programmiert Roboter zur kulturellen Nutzung. Ganze Museums- und Bibliotheksbestände können digitalisiert und der breiten Öffentlichkeit und Forschern und Wissenschaftlern zur Verfügung gestellt werden. Erste Datenbänke mit kulturellem Inhalt werden an Informatiker weitergegeben, um weiterführend „künstliche Intelligenzen“ zu programmieren. Digitalisierung im besten Sinne bietet die Chance, das kulturelle und geistige Erbe der Menschheit allen zugänglich zu machen.
Herausforderung / Aufgabe für Kulturinstitutionen
Durch den rasanten Fortschritt im Bereich der Digitalisierung und der Künstlichen Intelligenz stehen auch die Kulturinstitutionen vor der enormen Herausforderung, mit diesen Entwicklungen mithalten zu können.
Die digitale Transformation unserer Welt erfordert auch in kulturellen Bereichen eine zeitgemäße technische Infrastruktur. Dies beinhaltet ebenso eine moderne technische Ausstattung, das entsprechende Know-how, sowie eine Präsenz auf den digitalen Plattformen. Viele Kultureinrichtungen denken inzwischen um und intensivieren ihre Auftritte in den digitalen Medien und fahren den gesamten Printbereich zurück. Alle relevanten Informationen und Vorgänge, von der Ankündigung einer Veranstaltung bis hin zum Ticketing sollten heutzutage nicht nur online, sondern möglichst auch über das Smartphone abzuwickeln sein. Entsprechend muss das Personal geschult und technisch sowie medientechnisch auf den aktuellen Stand gebracht werden. Hemmungen und Ängste, aber auch Vorurteile können im Rahmen von Weiterbildungen abgebaut werden. Erst, wenn alle über das gleiche technische Grundverständnis verfügen, können digitale Projekte professionell entwickelt werden.
Die Digitalisierung schafft darüber hinaus einen einfachen und demokratischen Zugang zu Wissen und kulturellen Inhalten. Über Internetportale können Wissensinhalte unabhängig von Zeit und Ort recherchiert werden. Man kann in Museen in Tokio, New York oder Venedig virtuell spazieren gehen, sich Opern und Uraufführungen aus der ganzen Welt anhören oder in Archiven forschen, die tausende Kilometer entfernt sind.
Es ist aber nicht nur möglich, sich digital weiterzubilden, sondern es entstehen überall neue analoge Formen der Zusammenarbeit: In sogenannten Hackathons entwickeln zum Beispiel interdisziplinäre Teams aus Designer*innen, Entwickler*innen, Grafiker*innen, Museumskurator*innen, Künstler*innen, Hacker*innen und Spieleentwickler*innen bereits Ideen für Kulturprojekte – seien es Apps, Spiele oder visuelle Infografiken – die dann möglichst in Anbindung an eine Kulturinstitution umgesetzt werden.
Die Rahmenbedingungen sollten entsprechend diesen neuen Anforderungen angepasst werden, um die Experimente mit digitalen und/oder KI-Formaten überhaupt erst zu ermöglichen. Zu den Rahmenbedingungen gehören nicht nur eine solide finanzielle Ausstattung, sondern auch interdisziplinäre Teams, flache Hierarchien und Orte für den kreativen Austausch.
Klimawandel und Nachhaltigkeit

Temperaturen, CO2-Emissionen und extreme Wetterereignisse nehmen zu, die Polkappen schmelzen, der Meeresspiegel steigt. Die Umwelt leidet nachweisbar unter den Folgen der menschlichen ausbeuterischen Lebensweise. Das gesamtgesellschaftliche Bewusstsein für die Gefahren des anthropogenen Klimawandels wird größer und das Bedürfnis nach einem klimafreundlicheren und nachhaltigeren Lebensstil liegt im Trend. Zukunftsweisende Themen wie Abfallvermeidung, umweltfreundliche Mobilität sowie erneuerbare Energien sind im Mainstream angekommen und sorgen für eine Neuausrichtung von Werten der globalen Gesellschaft, der Politik und der Kultur.
Herausforderung / Aufgabe für Kulturinstitutionen
Kulturbetriebe setzen sich zwar bereits seit langem mit dem Thema Ökologie, Klimaschutz und Klimawandel auseinander, aber innerbetriebliche Strategien, wie sie selbst zur nachhaltigen Entwicklung beitragen können oder gar eine CO2-neutrale Kulturinstitution werden können, gibt es kaum. Um den eigenen ökologischen Fußabdruck für Kulturinstitutionen zu reduzieren, gibt es mehrere relevante Ansätze. Der wichtigste Punkt ist nach wie vor die Mobilität. Besucher*innen, das Personal und die Künstler*innen sollten angehalten werden, möglichst nachhaltige Mobilität, also zum Beispiel öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen, gemeinschaftlich anzureisen oder sogar mit dem Fahrrad oder zu Fuß zu kommen. Darüber hinaus sollte der Verzicht auf Plastik, eine klimafreundliche Materialbeschaffung und ein energieeffizientes Gebäudemanagement für Kulturinstitutionen selbstverständlich sein.
Urbanisierung

Prognosen zeigen, dass die Menschen weltweit verstärkt in den Städten leben wollen und die Bevölkerung auf dem Land abnimmt. Dieser Trend ist in einigen ländlichen und strukturschwachen Regionen bereits deutlich spürbar. Die Dörfer schrumpfen, Infrastrukturen brechen weg und die Jungen, Fachkräfte sowie qualifiziertes Personal wandern in die Städte ab, weil sie dort bessere Arbeitsbedingungen und attraktive Freizeitmöglichkeiten vorfinden.
Herausforderung / Aufgabe für Kulturinstitutionen
Für die Städte bedeutet die Urbanisierung zunehmende Verdichtung des Wohnraumes und einen größer werdenden Mangel an freien, für Künstler*innen zur Verfügung stehenden Räumen. Es fehlen Proben- und Übungsräume, aber auch Depot- und Begegnungsräume. Die aktuellen Entwicklungen in der Kultur hin zu „Dritten Orten“, also zu Begegnungsorten, an denen soziale Kontakte gepflegt werden, sich über wichtige Themen unsere Zeit ausgetauscht oder auch gemeinsam an Projekten arbeitet wird, versucht dem Mangel an Begegnungsräumen Rechnung zu tragen. Die Soziokultur hat dieses Angebot von jeher vorgehalten; aber inzwischen sind auch die traditionellen Kulturinstitutionen aufgefordert, ihr Spektrum zu erweitern und sich im Sinne eines „dritten Ortes“ zu öffnen.
Im ländlichen Raum fallen durch die Abwanderung nicht nur die Akteure, sondern auch das Publikum für kulturelle Veranstaltungen weg. Hier heißt es nun kreativ zu werden und neue Anreize zu schaffen, um die Provinz für Kunst- und Kulturschaffende wieder attraktiver zu machen und um z. B. kleinere Dörfer zu revitalisieren. Dabei bieten die ländlichen Regionen einen entscheidenden Vorteil: im Gegensatz zu den Städten sind hier in der Regel ausreichend Platz und genügend Räumlichkeiten für diverse Veranstaltungsformate vorhanden.
Strategien / Handlungsempfehlungen
Mit folgenden Fragestellungen können Sie sich den unterschiedlichen Megatrends annähern, um eine Strategie für die eigene Kulturinstitution auszuarbeiten:
- Einen für sich relevanten Megatrend auswählen, der im Fokus der Überlegungen stehen soll.
- Was bedeutet dieser Megatrend aktuell und zukünftig für den eigenen Bereich und die eigene Institution?
- Was bedeutet der Megatrend aktuell und zukünftig für die eigene Arbeit?
- Welche Herausforderungen und Schwierigkeiten bringt er mit sich?
- Welche Chancen und Potentiale bietet er?
- Eine Vision entwickeln: Wo wollen wir in Zukunft in Bezug auf das Thema stehen?
- Was muss verändert werden und welche Maßnahmen müssen getroffen werden, um dieses Ziel zu erreichen?
- Was soll bewahrt und beibehalten werden?
- Welche Ressourcen (personell und finanziell) werden benötigt, um einen Wandel zu erreichen?
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