Audience Development

Strategisches Audience Development als Motor für Veränderungsprozesse soziokultureller Einrichtungen

Ein Beitrag von Prof. Dr. Birgit Mandel

Außengastronomie mit Weserblick | © Sumpfblume

Angesichts der Pluralisierung und Veränderung kultureller Interessen in der Gesellschaft, u. a. durch Globalisierung, Migration und Digitalisierung, sind nicht nur die klassischen „Hoch“-Kultureinrichtungen, sondern auch die Soziokulturellen Zentren herausgefordert, ihre eingespielten Arbeitsweisen, Rahmungen und Programme daraufhin zu befragen, inwiefern sie aktuellen Vorstellungen und Bedürfnissen entsprechen und an welchen Stellen Veränderungen notwendig sind, um die Einrichtungen zukunftsfähig zu machen.

If you want to change your audience, you first have to change yourself!

Morton Smith, Arts Council England

Welchen Beitrag kann Audience Development leisten, um soziokulturelle Einrichtungen dabei zu unterstützen?

Audience Development ist ein im angloamerikanischen Kontext entwickelter strategischer Ansatz für Kultureinrichtungen, um vorhandenes Publikum zu binden und neues Publikum zu gewinnen sowie kulturelle Angebote für bislang nicht kunstaffine Bevölkerungsgruppen attraktiv und relevant zu machen. Das Besondere ist die Verbindung von Strategien des Marketing und der PR mit Kulturvermittlung auf der Basis von Besucher- und Nicht-Besucherforschung (vgl. Arts Council England 2004; Mandel 2008, Mandel 2016, Walker-Kuhne 2005). Dabei wird im Diskurs unterschieden in den sogenannten „Mainstream Approach“, bei dem es im Sinne von Marketing darum geht, die am leichtesten erreichbaren, bereits kunstaffinen und potenziell interessierten Zielgruppen zu adressieren um die Auslastung zu sichern sowie den „Missionary Approach“, mit dem kultur- bzw. sozialpolitischen Anspruch, bislang nicht repräsentierte Gruppen zu erreichen (Hayes/Slater 2002).

Evaluationen von Audience Development-Programmen zeigen, dass letzteres Ziel immer auch institutionelle Veränderungsprozesse erfordert, so dass nachhaltig wirkendes Audience Development zugleich als ganzheitliche Strategie der Organisationsentwicklung zu begreifen ist: „Successful organisations model internally what they wish to express externally – „If you want to change your audience, you first have to change yourself“ (Morton/Smyth, Arts Council England 2004: 12, Mandel 2013).

Der aus der Betriebswirtschaftslehre stammende Begriff des Change Managements bezeichnet bewusste Veränderungen in einer Organisation, die neben strukturellen Veränderungen auch die Unternehmenskultur betreffen, in die sich v. a. in Organisationen mit langer Tradition häufig implizite Glaubenssätze und tradierte Handlungsmuster eingeschrieben haben, die es bewusst zu machen gilt (vgl. Doppler/Lauterburg 2005).

Besondere Herausforderungen im Audience Development für Soziokultur

Über Audience Development im Kontext von Soziokultur zu reflektieren, scheint auf den ersten Blick überflüssig, geht es doch in der soziokulturellen Arbeit gerade nicht darum, Publikum zu gewinnen, sondern viel mehr darum, bürgerschaftliches Engagement für alltagsnahe, auch politisch engagierte kulturelle Aktivitäten zu mobilisieren. Tatsächlich waren in den Anfängen der Soziokultur Publikum und Macher*innen oft dieselben, und es brauchte kein Audience Development. Heute sind die meisten Einrichtungen jedoch professionelle kulturelle Dienstleister und der Kontakt zu einer in sich geschlossenen Szene ist nicht mehr vorhanden. Viele soziokulturelle Zentren müssen wie andere Kultureinrichtungen auch um Publikum, Teilnehmer*innen und Mitstreitende werben. Obwohl soziokulturelle Einrichtungen sehr viel niedrigschwelliger sind als die klassischen Kulturinstitutionen und von ihrem Anspruch her anti-elitär, stehen auch sie in vielfältiger Konkurrenz zu anderen Freizeitangeboten.

Dabei kann die Bezeichnung Soziokultur die Generierung neuer Besucher*innen und Teilnehmenden erschweren, da ihr ein bestimmtes, durch die 70er Jahre geprägtes Image von „Alternativkultur“ anhaftet, das für jüngere Generationen vermutlich nicht mehr zeitgemäß erscheint. So müssen vor allem jüngere Zielgruppen pro-aktiv angesprochen und zur Mit- und Umgestaltung eingeladen werden – sowohl im Personal wie in Projekten.

Soziokulturelle Einrichtungen stehen vor der besonderen Herausforderung, dass sie ein sehr breit aufgestelltes Programm auf der Basis eines weiten Kulturbegriffs haben, mit dem sie unterschiedliche Zielgruppen und Szenen erreichen wollen. Sie wollen und müssen Offenheit signalisieren für ein breites Bevölkerungsspektrum, und zugleich muss jede Einrichtung ein klares Profil entwickeln, das nach außen als Markenimage wirken kann. 

Anders als die klassischen, öffentlich getragenen Kultureinrichtungen, die eine hohe institutionelle Dauerförderung erhalten, müssen soziokulturelle Einrichtungen, obwohl sie gemeinnützige Ziele verfolgen, einen Großteil ihres Budgets selbst erwirtschaften und sind damit von ausreichendem Publikumszuspruch für ihre Veranstaltungen abhängig. Oft gelingt das den Einrichtungen mit einer Programmdiversifizierung, wenn etwa populäre Comedyshows und Partys parallel zu aufwendiger, partizipativer Projektarbeit mit verschiedenen Zielgruppen kombiniert werden. Immer neu müssen Soziokulturelle Zentren um öffentliche Fördermittel kämpfen und sind dafür auf ein positives Image in der Bevölkerung und die Unterstützung durch die Öffentlichkeit angewiesen.

Was tun? – Strategien und Maßnahmen des Audience Development

Obwohl Strategien des Audience Development immer von den jeweiligen Zielen, den spezifischen Voraussetzungen einer Einrichtung und vom Kontext abhängen, lassen sich aus den verschiedenen Evaluationen von Audience Development Programmen einige grundlegende Herangehensweisen als erfolgreich identifizieren, um mehr und unterschiedliche Menschen für kulturelle Angebote zu interessieren und an eine Kultureinrichtung zu binden (vgl. u.a. Allmanritter 2016; Mandel 2013 und 2016). Die im europäischen Kontext bislang größte Studie, an der in sieben verschiedenen Ländern Audience Development Aktivitäten unterschiedlicher Kultureinrichtungen analysiert wurden, fasst abschließend die identifizierten Erfolgsstrategien wie folgt zusammen: a welcoming place, digital strategies, active participation and co-creation, (innovative) programming, organizational change and leadership“ (European Commission/Bollo et. al 2017).

Insgesamt lassen sich folgende Maßnahmen und Strategien aus den unterschiedlichen Studien und der Literatur als essentiell identifizieren:

Die bewusste Entscheidung der gesamten Einrichtung, das Publikum in den Mittelpunkt zu stellen.

Nur ein ehrliches und langfristiges Interesse an der Einbindung neuer Gruppen in eine Kultureinrichtung wird zum Erfolg führen. Dies beinhaltet auch, im Team danach zu fragen, was die zentralen Vorzüge der eigenen Einrichtung aus Sicht verschiedener Nutzergruppen sind: Was bietet diese an sozialem, inhaltlichem, ästhetischem, atmosphärischem, kommunikativem Nutzen, den man woanders nicht bekommt? Worin könnten Zugangsbarrieren für bestimmte Gruppen liegen und wie lassen sich diese aus dem Weg räumen?

Besucher*in- und Nicht-Besucher*inbefragungen

Wissen über ästhetische und kulturelle Präferenzen, Freizeitinteressen und Informationsverhalten der avisierten Zielgruppen sind Voraussetzung für Audience Development. Im besten Falle generiert man dieses Wissen durch eigene empirische Studien in Form von Beobachtungen und Befragungen von Menschen, die man erreichen möchte, unter anderem vermittelt über Multiplikator*innen und Key Worker (Primärforschung), weil man dann sehr differenziert auf die eigene Einrichtung und mögliche gemeinsame Interessen zwischen dieser und den neu zu erreichenden Zielgruppen eingehen kann.[1]

Darüber hinaus gibt es bereits einige Studien im Bereich der Kulturnutzer*inforschung zu unterschiedlichen Zielgruppen (Sekundärforschung), die Hinweise geben können für die eigene Arbeit.[2]

 

[1] Anregungen für die methodische Durchführung siehe u.a. Mandel 2013, Glogner-Pilz 2012

[2] Eine Zusammenstellung vieler dieser Studien findet sich u.a. bei Föhl / Glogner 2015 sowie in einem von der Autorin betreuten Forschungsarchiv: www.uni-hildesheim.de/fb2/institute/kulturpolitik/.

Markenbildung und Aufmerksamkeitsmanagement: Neue vielfältige Kommunikationsformen für vielfältige Zielgruppen unter aktiver Nutzung digitaler Medien

Ein gezielter Selbstdefinitions- und Markenbildungsprozess, in dem nicht nur die Programme, sondern die Einrichtung selbst kommuniziert wird als ein für viele offenes und attraktives Haus ist die Basis, auf die ein Aufmerksamkeitsmanagement aufbauen kann. Dazu gehört auch, über die Ziele und Visionen einer Einrichtung öffentlich zu sprechen.

Um neue, bislang unterrepräsentierte Gruppen zu erreichen, müssen die traditionellen Kommunikationswege, wie Programmheft und Newsletter, ergänzt werden. Vor allem durch vielfältige Aktivitäten in den Social Media-Kanälen sowie auch durch Aktionen im öffentlichen Stadtraum. So kann man neue, potentielle Nutzer*innen erreichen und Mund-Propaganda anstoßen, die in jeder Publikumsbefragung als zentraler Informationskanal identifiziert wird.

Kooperationen mit vielfältigen Institutionen außerhalb des Kultursektors und Zusammenarbeit mit Multiplikatoren und Key Worker

Potenzielles neues Publikum, Menschen zu denen man bislang keinen Zugang hat, erreicht man am ehesten durch Kooperationen mit Partner*innen außerhalb der „eigenen Blase“, zum Beispiel mit Betrieben, Sportvereinen, Migrantenkulturvereinen, Jugendzentren und Schulen, wo man u. a. junge Leute aus allen gesellschaftlichen Gruppen und im besten Falle auch ihre Eltern ansprechen kann.

Wesentlicher Anreiz sind persönliche Empfehlungen und Initiativen des sozialen Umfeldes, um zu einer kulturellen Veranstaltung „mitzugehen“, das zeigen alle Besucherstudien. Das spricht dafür, Mittler*innen und Multiplikator*innen aus den Zielgruppen, die man ansprechen möchte, als persönliche Fürsprecher*innen zu gewinnen.

Der Aufbau von Kontakten in die unterschiedlichen Bereiche und sozialen Gruppen einer Stadt hinein sollte als fester Bestandteil der Arbeit einer Kultureinrichtung definiert und ausreichend Zeit dafür eingeräumt werden. Kooperationen müssen verstetigt werden, damit sich daraus dauerhafte Kontakte, Verbundenheit und ein vielfältigeres Publikum bzw. Nutzerschaft für die Einrichtung entwickeln.

Rahmenbedingungen attraktiv gestalten: Preis, Distribution, Service und Atmosphäre

Die Gestaltung angenehmer Rahmenbedingungen für den Kulturbesuch oder auch einfach den Aufenthalt, die unterschiedlichen Bedürfnissen gerecht werden – vom Café über freundliches Personal bis zur anschaulichen Ausschilderung – ist die Grundvoraussetzung dafür, dass potenzielle Besucher*innen sich wohl und als Gast wert geschätzt fühlen. Dabei ist zu differenzieren, welche Zielgruppe sich in welchem Ambiente wohl fühlt und welchen Servicebedarf hat.

Insgesamt erweist es sich als sinnvoll, auch die gesellige Dimension von Kulturbesuchen zu betonen, weil die meisten Menschen den Besuch kultureller Veranstaltungen vor allem auch als soziale und kommunikative Freizeitaktivitäten mit anderen und im besten Falle auch als Treffpunkt in der Nachbarschaft verstehen.

Neue Formate: Outreach und interdisziplinäre, kommunikative Events

Die Kontextgestaltung ist von elementarer Bedeutung für die Rezeption: Ob zum Beispiel Ausstellungsobjekte in sterilen Vitrinen präsentiert oder aber in einer Erlebnisdramaturgie sinnfällig inszeniert werden, macht einen großen Unterschied für das Verständnis. Ebenso, ob man ein Konzert Open-Air anstatt im Saal veranstaltet oder die Besucher*innen aktiv in ein Theaterstück einbezogen werden und das Erlebnis mit einem gemeinsamen Essen verknüpft wird.

Auch die Präsentation außerhalb der eigenen Einrichtung an Alltagsorten und im öffentlichen Raum – auf Schulhöfen, Marktplätzen, in Einkaufszentren oder Arbeitsämtern – schafft neue Rezeptionsbedingungen für Kunst und Kultur und ermöglicht es neue, zufällige Besucher*innen zu erreichen.

Differenzierte Formen der Vermittlung, die kulturelle Selbstbildungsprozesse anregen

Neben indirekten Vermittlungsformen durch PR, kuratorische Gestaltung und Inszenierung sowie mediale Kulturvermittlung mit aussagekräftigen, anregenden Beschriftungen, Audio Guides, Apps etc. erweist sich insbesondere die personale Vermittlung – beispielsweise dialogische Führungen, Hintergrundgespräche und. Workshops, in denen Besucher*innen selbst aktiv werden können – als wirkungsvoll, um Beziehungen aufzubauen und den Teilnehmenden kulturelle Selbstbildungsprozesse zu ermöglichen. Denn in der persönlichen Auseinandersetzung kann Vermittlung über Kunst-/Kultur-Erklärung hinaus gehen und Dialoge eröffnen, die bei den Interessen der Nutzer*innen ansetzen.

Neue, für ein vielfältiges Publikum relevante Programme entwickeln
Neues Publikum und neue Teilnehmende lassen sich nur dann gewinnen und binden, wenn die Programme für diese relevant und attraktiv sind. Das bedeutet nicht, Kunstproduktion auf einen Massengeschmack abzustimmen, sondern zum Beispiel Programme zu entwickeln, die an aktuelle Themen und Diskurse in einer Stadt anknüpfen und niedrigschwellige Einstiege ermöglichen. Ästhetisch erweisen sich auch Cross-Over Programme, die unterschiedliche künstlerische Genres und Ausdrucksformen oder auch Sprachen verbinden, für viele als anschlussfähig.

Partizipation: neue Besuchergruppen aktiv einbinden
Die wichtigste Strategie im Sinne eines nachhaltigen Audience Development, bei dem sich Kultureinrichtungen mit neuen Nutzern*innen verändern und dazu lernen können, ist die aktive Einbindung der Besucher*innen. Dies kann z. B. über gemeinsam entwickelte Projekte in Auseinandersetzung mit aktuellen Themen einer Stadt passieren oder über ein divers zusammengesetztes Kuratorium oder einen Programm-Beirat, der mit Repräsentant*innen unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen besetzt ist. Dabei ist auch zu bedenken, dass solche beteiligungsorientierten Entscheidungs- und Transformationsprozesse sehr viel mehr zeitliche Ressourcen erfordern als hierarchisch orientierte Verfahren.

Diversität im Personal
Um die Diversität einer Stadtgesellschaft in Bezug auf Alter, Bildung, soziale und kulturelle Herkunft im Publikum bzw. bei den Teilnehmenden einer Einrichtung widerzuspiegeln, muss sich diese wenigstens ansatzweise auch im Personal zeigen. Dafür sind auch neue Formen von „Leadership“ notwendig, eine Führung, die Vielfalt fördert und Freiraum für Ideen von Mitarbeitenden lässt. Dann können diese dazu beitragen, Perspektiven, Inhalte, Kommunikationsweisen und Strukturen einer Einrichtung zu erweitern und zu verändern, um sie zukunftsfähig und zu einem unverzichtbaren Ort der Stadt oder Region zu machen.

„How are the lives of members of the community made better by the work you do?“

Vom Audience Development zum Community Building – Menschen zusammenbringen, die sich sonst nicht begegnet wären

Ein Ansatz zur Erweiterung der Mission von Audience Development, der sich vor allem für soziokulturelle Einrichtungen anbietet, ist das ebenfalls im angloamerikanischen Kulturbereich entwickelte „Cultural Community Building“. „How are the lives of members of the community made better by the work you do?“ – dies müsse die zentrale Frage für Kultureinrichtungen sein, so schlägt der amerikanische Kulturwissenschaftler Borwick in seiner einschlägigen Publikation Building Communities, Not Audiences (Borwick 2012:38) vor. Non-profit Kultureinrichtungen sollten sich nicht darauf beschränken, Kunst zu produzieren und zu präsentieren, sondern die Kompetenzen ihrer Häuser und ihrer Mitarbeitenden dafür einsetzen, bedeutungsvolle Beziehungen mit der Community bzw. Nachbarschaft, in der sie verortet sind, aufzubauen. Dabei erweist sich vor allem das Potenzial, kulturelle, nicht kommerziell definierte Freiräume und Begegnungsorte für unterschiedliche soziale Milieus zu eröffnen, als Stärke von Kultureinrichtungen. Notwendig dafür sei eine Veränderung der Mission, indem sie Community Engagement nicht als zusätzliche Aufgabe, sondern als Kern ihrer Arbeit begreifen: „Community engagement should be new lens through which all of an organization´s activities are viewed, not as something extra“ (ebd.: 94). Das beinhalte auch eine Hinterfragung des bisherigen Programms in Hinblick auf die Anschlussfähigkeit zu aktuellen Themen einer Nachbarschaft sowie eine Neuformulierung von Prioritäten, um Raum und Ressourcen für den Aufbau neuer Kollaborationsbeziehungen zu unterschiedlichen Gruppen einer Kommune zu haben. „Being a good neighbour“ – sich für Aufgaben in der Nachbarschaft und Region mit verantwortlich fühlen über die eigenen „Kernaufgaben“ hinaus – so formuliert die amerikanische Kulturvermittlerin Liz Crane dieses Ziel (Crane 2012: 90). Sie verweist darauf, dass Kultureinrichtungen nicht nur das Potenzial haben, Kunst und Kultur zu produzieren und zu präsentieren, sondern zudem über physisches Kapital verfügen (z. B. Raum, Architektur, Infrastruktur), soziales Kapital (Mitarbeitende mit Ideen und Kontakten), politisches Kapital (Beziehungen zu Kulturpolitik und Kulturverwaltung), kreatives Kapital (kulturelle und künstlerische Sensibilität), das sie einbringen können in die Community bzw. Nachbarschaft, in der sie situiert sind.

Fazit | Institutionelles Change Management: Kultureinrichtungen transformieren in Prozessen des Audience Development

Die Aufgaben und Ziele von Audience Development sind entsprechend der Veränderungen des Publikums, der Bevölkerung und der jeweiligen gesellschaftlichen Herausforderungen in permanenten Entwicklungsprozessen. Und so sind auch die hier vorgestellten Strategien als Anregung zu verstehen, eigene Lösungen immer neu und maßgeschneidert für das jeweilige Ziel und die jeweilige Situation zu entwickeln. Audience Development ist vor allem als eine Gestaltungsaufgabe zu begreifen in enger Auseinandersetzung mit dem Publikum oder den Bevölkerungsgruppen, die man in die eigene Arbeit einbinden möchte.

Aufgrund veränderter kultureller Interessen in einer pluralisierten Bevölkerung sehen sich Kultureinrichtungen zunehmend Ansprüchen gegenüber, nicht nur ihr Publikum zu sichern, sondern ihre Angebote und Aufgaben zu überdenken und die eigene Einrichtung zu verändern in Auseinandersetzung mit neuem, anderen Publikum. Im kulturpolitischen Diskurs ist das Thema der chancengerechten Teilhabe dabei ein zentrales Argument ebenso wie die Frage nach kultureller Repräsentanz der gesamten Bevölkerung im (öffentlich geförderten) Kulturleben.
Ein nachhaltig wirkendes Audience Development mit einer aktiven Einbindung verschiedener Nutzergruppen forciert institutionelle Veränderungen. Diese lassen sich ausdifferenzieren in „Mission“ und „Leadership“ für Publikumsorientierung; Integration von Audience Development in alle Arbeitsbereiche, v. a. auch in die künstlerische Arbeit und Programmplanung; Kollaboration mit neuen Zielgruppen und Veränderungen der Organisations- und Personalstruktur im Sinne höherer Diversität.

„Soziokultur“ steht für interdisziplinäre Kulturformen, die Kunst und Alltag zusammenbringen, die über Kulturkonsum hinaus die kreative, ästhetische Eigentätigkeit von Menschen fördern wollen nach dem Prinzip „Kultur für alle und Kultur von allen“. Sie steht für einen weiten, nicht normativen Kulturbegriff, der über die Künste hinaus auch Alltagskultur, Breitenkultur, politische Kultur, Kulturen verschiedener Länder umfasst. Soziokultur hatte und hat den Anspruch, Alternativkultur zu den etablierten und elitären „Hochkultureinrichtungen“ ebenso wie zu den Angeboten der profitorientierten privaten Kulturanbieter zu sein. Partizipative Projekte, die gesellschaftspolitisch wirken wollen, sind Kernstück der Soziokultur. Häufig entstehen die Projekte in „interkultureller“ Zusammenarbeit unterschiedlicher Gruppen, sei es intergenerativ oder zwischen Menschen verschiedener Milieus und Herkunft, und immer durch das Engagement vieler Ehrenamtlicher. Neben der reinen Werbung um Publikum für den Besuch einzelner Veranstaltungen geht es in der Soziokultur immer auch um die komplexere Frage, wie Audience Development dazu beitragen kann, Menschen für Projekte zu aktivieren und sie dadurch anzuregen, sich insgesamt in die Gestaltung ihres Lebensumfeldes einzubringen. Die wesentlichen Erfolgsfaktoren des Audience Development, Partizipation, alltagsrelevante Programme und Diversität sind selbstverständlicher Bestandteil der Soziokultur. Soziokulturelle Einrichtungen haben also sehr gute Voraussetzungen für ein Audience Development, das sich als Community Building begreift, in dem Menschen sich begegnen und gemeinsam etwas gestalten, das für das Zusammenleben in einer Nachbarschaft von Relevanz ist.

Ein Beitrag von
Prof.in Dr. Birgit Mandel
Universität Hildesheim | Institut für Kulturpolitik

Kurzbiografie

Birgit Mandel  (geb. 1963) ist Professorin für Kulturvermittlung und Kulturmanagement und Direktorin des Instituts für Kulturpolitik an der Universität Hildesheim. Sie leitet den Masterstudiengang Kulturvermittlung sowie den Bachelor Studiengang Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis.

Sie ist Vizepräsidentin der Kulturpolitischen Gesellschaft, Kuratoriumsmitglied der Commerzbank Stiftung, für die sie den Preis „ZukunftsGut“ für institutionelle Kulturvermittlung entwickelt hat,  sowie Aufsichtsratsmitglied der Berlin Kulturprojekte GmbH. Sie ist Gründungsmitglied des Fachverbands für Kulturmanagement und hat den Verband mehrere Jahre als Präsidentin geleitet.

In  vorangegangenen kulturpraktischen Tätigkeiten war sie u.a. für die Berliner Festspiele, den Berliner Kultursenat sowie das Theater Bar jeder Vernunft im Bereich Öffentlichkeitsarbeit tätig.

Sie hat diverse Forschungsprojekte an der Schnittstelle von Kulturvermittlung, kultureller Bildung, Audience Development, Kulturmanagement und Kulturpolitik sowie Besucherstudien und Bevölkerungsbefragungen durchgeführt und ist Autorin vieler Publikationen im Bereich Kulturvermittlung und Kulturmanagement. Sie verfügt über langjährige Erfahrungen in der Evaluation von Kulturprojekten und Institutionen.