Generationenwechsel in der Soziokultur
Ein Beitrag von Ingrid Wagemann

Mit Geburtsjahrgang 1957 gehöre ich zu den Alten, als Beraterin des Landesverbandes Soziokultur sitze ich zwischen allen Stühlen – das heißt, ich erlebe viele sich unterscheidende Sichtweisen, insbesondere auch Sichtweisen der unterschiedlichen Generationen. Die Soziokultur kommt nach ihrem 40- bis 50-jährigen Bestehen zu ihrem ersten Generationenwechsel: als Kulturform wie auch ganz persönlich mit den Menschen, die sich nach und nach verabschieden und denen, die neu kommen. In diesem Bericht beschreibe ich aus meiner Beratungsarbeit und der Begleitung von „sozioK_change“, dem Förderprogramm der Stiftung Niedersachsen, ohne jeden Anspruch auf Richtigkeit oder Vollständigkeit. Vielleicht als eine Anregung für den Einen oder die Andere, das Thema der eigenen Praxis und das eigenen Erleben noch mal zu drehen und zu wenden und miteinander auszutauschen.
Die, die gehen und die Zeit, aus der sich Soziokultur entwickeln konnte
Zu allererst einmal eine herzliche Anerkennung an Alle, die über die Jahre mit dabei waren – beim Aufbau und bei der Entwicklung soziokultureller Einrichtungen und Formate in Niedersachsen: Die sie ermöglicht haben, die sich engagiert haben, die viel Herzblut und Leidenschaft in die Umsetzung von Konzepten und den Aufbau von Räumen gelassen haben. Sie brachten ihre Kompetenzen und Ressourcen ein, machten die Soziokultur vor Ort bekannt, beförderten sie und arbeiten Jahr für Jahr neu für die Finanzierung ihrer Arbeit. Die Fähigkeit, soziokulturelle Projekte, Veranstaltungen, den Alltag in ihren Kulturorten zu gestalten und zu steuern und die Finanzen zu verantworten, wurde in der Praxis entwickelt.
Hingegen ist die Finanzierung der Soziokultur in den Städten und Gemeinden immer noch ein Kraftakt. Viel – manchmal zu viel – wird erwartet von denjenigen, die in diesem Arbeitsfeld ihre Brötchen verdienen. Nicht wirklich zu beziffern ist die Leistung der Ehrenamtlichen in der Soziokultur. Ich stelle diesen Zusammenhang her, weil es oft um dringende benötigte Gelder geht. Die Förderung, Beratung und Begleitung der soziokulturellen Vereine in einem Veränderungsprozess mit „sozioK_change“ war eine starke Unterstützung beim Generationenwechsel in der Soziokultur.
Viele soziale und kulturelle Initiativen entstanden vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Entwicklungen in den 1970er und 1980er Jahren. Hilfreich waren in den 1980er Jahren auch die „Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen“ der Arbeitsämter in Deutschland. Die Entstehung der ersten Kulturorte in Fabrikgebäuden, Lagerhallen, Mühlen, Molkereien, Scheunen und allen nur möglichen Leerständen lag in dieser Zeit. So unterschiedlich sie auch waren, diese neuen Kulturorte mussten erstritten werden und wurden bekämpft oder zumindest kritisch beäugt, denn sie unterschieden sich in Inhalt und Form, in Haltung und Zielen deutlich von den bis dahin üblichen Kulturformen. Das wollten sie auch sein: kritisch, widerständig, hierarchiefrei.
Kulturorte sind durch Initiativen entstanden, die zu Vereinen wurden. Ihre Strukturen waren basisdemokratisch geprägt und haben sich organisch entwickelt. Die Beteiligten im Plenum oder Verein, im Sprecher*innenrat oder im Vorstand und unter den hauptamtlich Beschäftigten waren sich über ihre Rollen und Wirkungsweisen nicht zwingend im Klaren. Im Hinblick auf die Strukturen in der Organisation (wer macht was, wer verantwortet was, wer entscheidet was …), und auf die Kultur (wie kommunizieren wir, wie gehen wir miteinander um, wie gestalten wir unser Arbeitsfeld) und die großen Ziele wurde diskutiert, bis Einvernehmen hergestellt war.
Häufig gab es prägende Figuren, vielleicht „Väter“ und „Mütter“ der Organisation, die die Kultur prägen und über die Jahre hinweg wirken. Zu dieser Gruppe der prägenden Figuren gehören sowohl hauptamtlich Beschäftigte als auch Ehrenamtler*innen der Soziokultur. Sie waren von Anfang an dabei und stellten im jeweiligen soziokulturellen Zusammenhang Autoritäten dar – auch wenn „Autorität“ ein schwieriger Begriff in diesem Kontext ist.
Die, die jetzt gehen, gehören zu großen Teilen zu dieser Gründer*innengeneration.
Heute
Heute ist es im Zusammenhang mit einem Generationenwechsel in der Leitung hilfreich, wenn sich die Beteiligten über ihre Rollen und Wirkungsweisen im Klaren sind und miteinander darüber sprechen können. Spätestens jetzt werden Strukturen und Mechanismen im soziokulturellen Zentrum sichtbar, weil aufmerksame und mutige Neueinsteiger*innen sie hinterfragen. Im Generationenwechsel versuchen wir einen guten Übergang in der Verbindung von Bestehendem und Neuem. Gegenseitige Wertschätzung, Vertrauen und loslassen können sind wichtige Voraussetzungen für gelingende Veränderung und ein Kraftakt für die Beteiligten. Das „Nicht-loslassen-können“ stellt aus meiner Sicht eine große Gefahr für die notwendige Weiterentwicklung eines Zentrums dar.
Im Alltag orientieren wir uns mit unseren Verhaltensweisen auch an persönlichen Bedürfnissen und Notwendigkeiten, die nicht immer allen bewusst sind: Was brauche ich für mich, was glaube ich, braucht das Zentrum, wie geht es mir mit dem Generationenwechsel … Dazu können die Sichtweisen und Haltungen sehr unterschiedlich sein. Abschiedsschmerz und Wehmut, Bedeutungsverlust und Zukunftsangst sind Gefühle, die zum Generationenwechsel dazu gehören.
Beispiel
Mein erster Beratungsprozess zum Generationenwechsel im Kulturbereich liegt schon lange zurück. Ein sehr engagierter, starker und erfahrener Vorstand führte die Geschäfte und war über die Jahre gemeinsam sehr alt geworden. Eine junge Mitarbeiterin sollte in die Leitung des Hauses einsteigen, aber nicht die Geschäfte führen. In vielen Gesprächen ging es um Fragen von Vertrauen und Kontrolle, um abgeben und behalten. „Widerstände muss man streicheln“ – heißt für mich, sie ernst zu nehmen und behutsam damit umzugehen. Mein Ansatz damals war es, mit den Akteuren in Vorstand und Leitung zu sammeln, was sie an Aufgaben haben, welche sie unbedingt als Aufgabe oder Verantwortungsbereich behalten wollen und was sie sich vorstellen könnten, an die hauptamtliche Leitung abzugeben. Also nicht alles auf einmal abgeben, aber sich Stück für Stück und nach und nach von Verantwortlichkeiten und Verpflichtungen zu entlasten.
Als Ansatz nicht schlecht, denn es gab deutliche Bereiche, die einvernehmlich die Zuständigkeit wechselten, neu in die Hand der Leitung gelegt wurden und dort auch blieben. Trotzdem gab es weiterhin starke Kontrollbedürfnisse auf der einen Seite und ein sich Abarbeiten an bestehenden Entscheidungs- und Arbeitsstrukturen im Vorstand auf der anderen Seite. Letztlich haben sich die Beteiligten im Konflikt voneinander getrennt.
Die klare Trennung, mit Abschied und Neubeginn, kommt mir als Außenstehende oft als die beste Lösung vor. In der Praxis ist das jedoch nicht immer eine Option. Als Ehrenamtler*in im Vorstand gibt es erstmal keinen zwingenden Grund, sich zu verabschieden. Auch hauptamtliche Geschäftsführer*innen, die in den Ruhestand gehen, trennen sich nicht immer leicht von „ihrer“ Einrichtung. Für sie war die Arbeit in einem soziokulturellen Zentrum viel mehr als ein Arbeitsplatz, es gibt eine starke Identifikation mit dem Haus, welches sie teils über Jahrzehnte aufgebaut und gestaltet haben.
Begleitungen beim Generationenwechsel in Niedersachsen
In Niedersachsen haben wir die Situation, dass ein fast flächendeckender Generationenwechsel anstand und ansteht und die Förderung und Beratung auf die Bedarfe der Zentren reagiert: die Bundesakademie für kulturelle Bildung in Wolfenbüttel u.a. mit der Fortbildungsreihe „Sich selbst und andere führen“, der Landesverband Soziokultur mit Strukturför-derung und Beratung, auch mit Supervision und kollegialer Beratung im Arbeitskreis junger Geschäftsführer*innen – die Stiftung Niedersachsen mit sozioK_change, einem Förder- und Qualifizierungsprogramm für soziokulturelle Einrichtungen im Wandel.
Als Beraterin erlebe ich die Herausforderungen des Generationenwechsels in den Vereinen auf verschiedenen Ebenen – im Hinblick auf die Besucher*innen, im Hinblick auf die Angebote und Veranstaltungen, im Hinblick auf die Ansprache, im Hinblick auf die Ehrenamtlichen, die Hauptamtlichen, den Vorstand.
In der Beratung erleben wir, wenn ehrenamtliche Vorstände den fehlenden Nachwuchs beklagen, wenn junge Geschäftsführer*innen mit alten Strukturen oder einem eingespielten Team kämpfen, wenn sich die Ehrenamtlichen der ersten Stunde mit den Veränderungswünschen neuer Generationen konfrontiert sehen, wenn es darum geht, etwas abzugeben.
Sehr passend hierzu möchte ich aus einer Ansprache von Andreas Pecht zum Festabend am 3. März 2018 anlässlich des kollektiven Wechsels der Gesellschafter*in im Trägerkreis der Koblenzer Kulturfabrik Kufa zitieren: „Dann ist da die Sorge, die vielleicht nur klammheimliche: Werden die Nachfolger es gut machen? Werden sie pfleglich mit dem Erbe umgehen, sodass trotz mancher Veränderung das ursprüngliche Ansinnen der Vorgänger*in noch erkennbar bleibt? Oder werden sie das Erbe radikal zu etwas völlig anderem umbauen? Es womöglich modernem Zeitgeist zum Fraß vorwerfen? Oder, schlimmer noch, werden sie es gar verprassen, will sagen: an die Wand fahren? Auf der anderen Seite die Jungen, die Neuen, die Nachfolger*innen. Sie sagen: „Ja, ihr habt eine gute Arbeit gemacht die vielen Jahre. Wir werden euer Erbe in Ehren halten und uns bemühen, es ordentlich fortzuführen.“ So sagen sie – während sie ungeduldig mit den Hufen scharren und denken: „Wie sich die Zeiten ändern, muss sich auch hier allerhand ändern.“ Und sie wollen zeigen, dass sie es können. Wollen ihr eigenes Werk schaffen, ihre eigene Handschrift erkennbar machen. Auch dieses Bestreben ist das Normalste von der Welt.“
Ob ein Generationenwechsel in einer Organisation gelingt, hängt von den handelnden Personen in der gebildeten Struktur ab. Insbesondere für die Älteren von uns, die im Ehrenamt tätig sind, halte ich die Öffnung der Organisation und das Abgeben von Aufgaben für eine besondere Herausforderung. Schließlich endet ein Ehrenamt nicht mit dem Eintritt ins Rentenalter.
Erfahrungen aus der Beratung mit jungen Geschäftsführer*innen:
Die erste Generation der hauptamtlich Verantwortlichen in der Soziokultur gehört vielen Berufen an – eine spezifische Ausbildung hatten seinerzeit die wenigsten. Ein hoher Grad an Engagement, persönliche Kompetenz im Miteinander und „learning by doing" waren die Grundlagen erfolgreicher Soziokulturarbeit. Die Akteure wuchsen mit ihren Zentren und ihrem Erfolg, mit den Aufgaben, den Finanzhaushalten, mit einem wachsenden Team.
Die neue Generation der Kulturmacher*innen hat in der Regel eine entsprechende Ausbildung, sie haben sich auf eine Stellenausschreibung beworben und sie haben Vorstellungen und Erwartungen im Hinblick auf ihr zukünftiges Handlungsfeld.
Ich erlebe viele tatkräftige und selbstbewusste junge Geschäftsführer*innen mit Vorerfahrungen in soziokulturellen Projekten und Arbeitsfeldern. Die Aufgabe der Geschäftsführung in einem Zentrum ist für alle neu. Ganz persönlich bin ich beeindruckt von dem Selbstbewusstsein der jungen Kolleg*innen. Selbstbewusstsein einerseits und Empathiefähigkeit andererseits sind wichtige Voraussetzungen für die Gestaltung der Geschäftsführung. Die Grundhaltung nach der Transaktionsanalyse von Eric Berne „ich bin okay – du bist okay“ trifft das in aller Schlichtheit ganz gut. Bei genauerer Hinwendung wird auch klar, wie schwierig es ist, diese Grundhaltung im Miteinander zu leben und wie oft man beim „ich bin okay – du bist nicht okay“ oder beim „ich bin nicht okay – du bist okay“ landet und sich dann wieder mühevoll heraus arbeiten muss.
Im folgenden finden sich einige Perspektiven aus dem Arbeitskreis für junge Geschäftsführer*innen auf die Frage nach ihrer größten Herausforderung im Generationenwechsel:
„Die erste Zeit war für mich eine große Herausforderung. Es ging darum, mir einerseits einen guten Gesamtüberblick zu verschaffen und andererseits in meiner Position anerkannt zu werden. Dieses ist mit allen Facetten und den zahlreichen Tätigkeitsfeldern bei anfänglich neun Wochenstunden für die Geschäftsführung sehr schwierig gewesen. Eigentlich habe ich von Anfang an ausschließlich die Feuerwehrfrau gespielt und Brandherde gelöscht, ohne schon richtig in der Materie drin zu sein. Mithilfe der Beratung des Landesverbands haben wir nach Lösungsmöglichkeiten für diese permanente Überforderung gesucht. Wir hatten dann im darauf folgendem Jahr das große Glück, die große Strukturförderung zu erhalten, um die Geschäftsführungsstunden zu erhöhen. Nach einer mehrjährigen Unterstützung durch den Landesverband Soziokultur und die Kommune ist es mit einem weiter voranschreitenden Generationenwechsel gelungen, die Geschäftführungsstelle aus eigenen Mitteln zu einer halben Stelle auszubauen und zu finanzieren. Aktuell ist und bleibt für mich die größte Herausforderung die Personalführung.“
„In unserem kleinen soziokulturellen Zentrum im ländlichen Raum sind seit 30 Jahren starke ehrenamtliche Strukturen gewachsen. Die Engagierten sind dem Zentrum über viele Jahre treu geblieben und haben das Kulturangebot tatkräftig mitgetragen. Sie haben eine starke Identifikation mit dem Ort. Das ist eine wunderbare Sache, bringt jedoch auch ein oft verborgenes „das haben wir immer so gemacht“ mit sich. Einerseits lässt mit zunehmendem Alter bei den Ehrenamtlichen die Lust auch unliebsame Aufgaben, wie z. B. Stühle schleppen, zu übernehmen, verständlicherweise nach, andererseits gibt es keine jüngeren Helfer*innen, die diese Lücken abfangen würden. Dazu kommt das berechtigte Gefühl, bereits viel geleistet zu haben und die Unlust noch genau so viel Zeit und Energie in die aktuellen Projekte zu geben. Mit einer inhaltlichen Neuausrichtung verhält es sich oft ähnlich: die bewährten Angebote werden angenommen, neue Formate haben es schwerer bei Ehrenamtlichen und Publikum. Der Anspruch an die neue Geschäftsführung, einerseits das Zentrum zukunftsfähig zu machen und ein aktuelles Programm zu gestalten und andererseits das Stammpublikum und die Ehrenamtlichen inhaltlich und emotional mitzunehmen, ist keine einfache Aufgabe. Noch schwieriger scheint es, neue Ehrenamtliche und ein jüngeres Publikum für die bestehenden Strukturen und Inhalte zu begeistern.“
„Zu Beginn des Jahres wurde ich neuer Geschäftsführer. Die Einarbeitungsphase verlief in zwei Monaten. Ab März war ich für die Einrichtung verantwortlich und startklar. Dann kam Corona. Corona war und ist eine Herausforderung und Chance. Da der Tagesbetrieb stillgelegt wurde, konnte ich mit dem Team interne Strukturen, Ziele und Ideen sehr gut besprechen. Durch den „Stillstand“ war mehr Zeit vorhanden, um in Ruhe vieles weiteres zur Einrichtung, zu bestehenden Projekten und Anträgen zu lernen und voranzubringen.“
„Ein soziokulturelles Zentrum ist ein komplexer Ort mit einer eigenen Binnenstruktur. Eine zusätzliche Herausforderung sind die unterschiedlichen Kommunikations- und Handlungsbedürfnisse im Haupt- und Ehrenamt. Dem Generationenwechsel ging bei mir im Haus eine Vertrauenskrise zwischen diesen beiden Gruppen voraus. Meine größte Herausforderung war, das auch auf mich übertragene Misstrauen nicht an mich rankommen zu lassen. Die eigentliche Kunst beim Generationenwechsel ist, eine eigene Linie zu zeigen, ohne dabei das Haus auf den Kopf stellen zu wollen.“
Schwerpunkte der kollegialen Beratung und des Coaching
Die Themen neuer Geschäftsführer*innen drehen sich wesentlich um die Entwicklung eigener Fähigkeiten als Geschäftsführer*in, um die Reflexion eigener Verhaltensweisen und um die Gestaltungsmöglichkeiten der Arbeitsbeziehungen im Team und Vorstand in einem Veränderungsprozess. Wie bin ich als Geschäftsführer*in? Wie will ich leiten, wie will ich kommunizieren, wie will ich nach innen ins Team und in den Verein und nach außen in Öffentlichkeit, Verwaltung und Politik wirken? Wie kann ich diese Aufgaben authentisch und überzeugend wahrnehmen? Konzepte über Kommunikation, über den Aufbau von Konflikten, über innere Dynamiken unterstützen genauso wie der Blick aus verschiedenen Richtungen auf die Organisation oder auf bestimmte Konstellationen innerhalb des Teams. Die Gruppe ist Schwingboden, emotionale Verstärkung und Ressourcenpool. Jede und Jeder mit seinen und ihren Erfahrungen und Ressourcen profitiert von jedem Thema und liefert wichtige Aspekte für die Weiterentwicklung.
Es geht in den Beratungen immer um konkrete Situationen: Was ist passiert, wie habe ich mich erlebt, wie die Situation, wie hat sie sich für mich angefühlt, was wurde bei mir aktiviert? Wir können aus der Situation heraustreten und in der Beratung verschiedene Perspektiven einnehmen und neue Entscheidungen treffen, wie es weiter gehen kann, welche Optionen es gibt.
Der erste Schritt in der Reflexion ist immer ein möglichst klarer Überblick, z.B. eine Aufstellung des Systems der handelnden Akteur*innen und ihrer Positionen und die Beschreibung, wie die einzelnen Positionen erlebt werden und wie sie zueinander stehen. Das kann auf der Flipchart skizziert werden, kann im Raum mit Stühlen oder auch in Form einer Organisationsaufstellung mit Vertretungspersonen aus der Gruppe aufgestellt werden. So wird auf einer neuen Ebene sichtbar und nachvollziehbar, worum es im Kern geht.
Manchmal sage ich in der Beratung: „Ihr müsst Euch nicht lieben, Ihr müsst gut miteinander arbeiten können“ – oder wir stellen fest: Wenn es keine klaren Strukturen und Vereinbarungen für die Zusammenarbeit gibt, werden auftretende Konflikte auf der Beziehungsebene gelöst. Bei emotionalen Auseinandersetzungen geht es dann oft um alte Muster – hier kann viel kaputt gehen.
Die jungen Geschäftsführer*innen gestalten ihr Profil: Wie kann ich eine Teamsitzung leiten, wie entscheide ich, wie und mit wem thematisiere ich einen Konflikt, wie stehe ich gegenüber Herausforderungen und Bedürfnissen, wie beweglich bin ich, wie geduldig bin ich … Hierbei sind Vertraulichkeit nach außen, gegenseitige Wertschätzung und Auseinandersetzungsbereitschaft gute Grundlagen um Konflikte zu lösen.
Auf die Frage nach den wichtigsten Fähigkeiten oder Ressourcen, die den jungen Geschäftsführer*innen bei der Bewältigung des Generationenwechsels hilfreich waren, gab es folgende Rückmeldungen:
„Ich arbeite gern in geklärten Strukturen und bin sehr gut darin, diese zu erkennen. Man findet dabei auch immer Situationen, die man so belassen muss, weil klar ist, dass ich mir die Zähne dran ausbeiße. Es ist ein ständiges Entscheiden, doch solange ich es bewusst mache, komme ich damit klar … Sich selbst in Distanz zu bringen, sehe ich als eine nie endende Aufgabe – es ermöglicht mir, dass mein Beruf, den ich liebe, nicht auch mein Privatleben übernimmt. Kinder helfen dabei übrigens auch sehr.“
„Diese Aufgabe erfordert viel Geschick in der Kommunikation. Einerseits muss man alle, Kollegen, Ehrenamtliche und Publikum dort abholen, wo sie sind. Oft ist auch diplomatisches Gespür gefragt, um Projekte umzusetzen. Die Fähigkeit des „social hoppings“ in der Kommunikation, also mit Menschen aus unterschiedlichsten Milieus auf Augenhöhe sprechen zu können, ist für mich eine Kernkompetenz der Soziokultur. Ich muss am selben Tag mit Politikern sprechen, Journalisten informieren, Anträge schreiben und vor Ort mit ganz normalen, durchschnittlichen Bürger*innen aller Herkünfte und Alters sprechen und dabei Inhalte mit dem richtige Ton vermitteln können.“
Neue Geschäftsführung – es verändert sich was im System
Als Neue oder Neuer in einem bestehenden Zentrum sehen sich die jungen Geschäftsführungen gewachsenen Strukturen gegenüber.
Im Vorstand und Team eines soziokulturellen Zentrums ist die Haltung mit Blick auf eine neue Geschäftsführung in der Regel erstmal positiv und unterstützend. Schließlich wurde sich für diese Person für die beschriebene Aufgabe entschieden. Im Alltag wird sich zeigen, wie das Neue mit den vorhandenen Strukturen und Arbeitsweisen zusammen passt, wenn der oder die Neue ungewohnte Arbeits- und Kommunikationsformen mitbringt, Ideen für neue Inhalte hat, neue Zielgruppen erreichen will.
Die jungen Geschäftsführer*innen sind nicht angetreten, um genauso zu sein wie ihr Vorgänger oder ihre Vorgängerin. Das würde ihnen auch nie gelingen. Sie kommen mit einer eigenen Persönlichkeit, einer eigenen Haltung und eigenen Vorstellungen davon, wie sie arbeiten wollen.
Jede neue Geschäftsführung macht Erfahrungen mit Vorbehalten und Widerständen. Jede Veränderung kann eine Verunsicherung darstellen und Widerspruch hervorrufen. So unterschiedlich wie die soziokulturellen Zentren in Niedersachsen sind, so unterschiedlich sind diese Herausforderungen.
Es gibt eingeübte Kommunikations- und Entscheidungswege, gewachsene Formen der Zusammenarbeit auch ohne Arbeitsplatzbeschreibungen. Wie ist der Umgang mit Konflikten in einem Zentrum? Wie ist die Zusammenarbeit in den Teams oder Gruppen, zwischen Vorstand, Geschäftsführung und Team, wie ist die Zusammenarbeit zwischen Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen? Gibt es alte Konflikte, die weiter wirken? Das alles erfährt man nicht durch reines Nachfragen oder durch eine entsprechende Recherche, vieles wird erlebt und ist spürbar in konkreten gemeinsamen Situationen. Hintergründe sind auch nicht immer bewusst oder konkret zu benennen.
Wer also mit viel Energie und Begeisterung antritt und eigene Ideen umsetzen will, kann bei zu hohem Tempo sehr schnell auflaufen. Alle Mitarbeiter*innen müssen mitgenommen werden und das erfordert oft mehr Zeit, als man denkt! Sich selbst zu bremsen, möglichst ohne dabei blockiert zu sein, wäre sinnvoll. Dazu muss eine neue Geschäftsführung sehr viel Geduld aufbringen. Sich diese Zeit zu nehmen und die Akteur*innen in den jeweiligen Arbeitsfeldern kennen zu lernen, wäre eine wichtige Vereinbarung für die ersten Monate.
Das Mobilé
Stellen wir uns unsere Einrichtung wie ein System vor, in dem die einzelnen Elemente alle in einer bestimmten Art und Weise miteinander verbunden sind – vielleicht wie ein Mobilé, was sich insgesamt im Gleichgewicht hält. Jedes Mal, wenn sich etwas verändert, muss sich das System neu justieren mit dem Ziel, wieder ein Gleichgewicht herzustellen – mit Auswirkungen auf alle Elemente.
Eine neue Geschäftsführung stellt vom ersten Tag an eine gravierende Veränderung in diesem Gesamtsystem dar. Und das eingespieltes System gerät in Bewegung. Einen Wechsel können wir uns wie eine Eruption vorstellen. Jemand geht raus, an den man über Jahre gewöhnt ist und von dem man weiß, wie mit ihm oder ihr umzugehen ist. Jemand kommt rein und alle müssen sich bewegen, damit das System wieder ein Gleichgewicht findet. Nicht nur im Hinblick auf die neue Person sondern auch untereinander verändern sich die Verhältnisse.
Es kann auch Gruppen oder Einzelpersonen im Team oder Vorstand geben, die eine neue Geschäftsführung von Anfang an testen oder kontrollieren wollen. Manchmal gibt es auch heimliche Leiter*innen im Haus, die sofort in Konkurrenz gehen. Die menschlichen Reaktionen und Verhaltensweisen im Umgang mit besonderen Herausforderungen und Veränderungen sind vielfältig und lebensgeschichtlich geprägt.
Ein weiterer wesentlicher Faktor ist, wie die ehemalige Geschäftsführung in die neue Zeit wirkt. Ob aktiv, weil sie weiterhin mitarbeitet, präsent und ansprechbar ist und weiterhin prägend wirkt oder nur im Hintergrund. Manchmal werden auch Erwartungen und Befürchtungen oder alte Konflikte auf eine neue Geschäftsführer*in übertragen, ohne dass sich die Beteiligten darüber im Klaren sind.
Hilfreich für den Generationenwechsel:
