Was verändern Dritte Orte?

Was brauchen ländliche Räume und wohin sollten sich Kulturorte in ländlichen Räumen entwickeln?

Ein Beitrag von Dr. Katja Drews

Abb. 1 und 2: „Mapping“ und „räumliche Verdichtung“ veranschaulicht anhand von Ansichten aus dem Landschaftstheater Heersum. Das Kunstprojekt generiert neue, vielfrequentierte Wege und dichte Präsenz von Menschen im dünn besiedelten ländlichen Raum des Kreises Hildesheim. | © Katja Drews

Problemaufriss und Lösungsstrategien

Vermutlich war es nie so einfach zu verstehen, was das Konzept der sogenannten Dritten Orte ausmacht wie in den Zeiten der Corona-Pandemie, wo Restaurants, Cafés und Freizeitstätten erst geschlossen, dann zwar geöffnet waren, aber alles andere als die anziehungsreichen Treffpunkte, an denen man unaufwändig und gesellig miteinander die Zeit verbringt. Leicht fällt es vor der Szenerie des Lockdowns zu veranschaulichen, was jene Orte ausmacht, die der US-amerikanische Stadtsoziologe Ray Oldenburg mit seiner Publikation „Great Good Places“ 1989(91) erstmals beschrieb: die Dritten Orte. Sie sind sozial relevante Treffpunkte im Quartier, auf den Alltagswegen der Menschen zwischen dem Zuhause, einem ersten Ort und dem Arbeitsplatz, dem zweiten Ort. Der Buchladen an der Ecke, die Kneipe, die Drugstores oder die früheren Soda-Fountains. [1] Das Konzept der Dritten Orte hat seinen eigenen Standort in Raum und Zeit: USA, Ende der 1980er Jahre. Aber was sagt es uns heute?

Oldenburg dekliniert die Dritten Orte regelrecht durch und benennt feste Merkmale. Zugleich stellt er aber auch die stadträumliche Bedeutung der Dritten Orte heraus. Als Plätze, an denen die Bewohner*innen zusammenkommen, wirken sie integrierend, sorgen für sozialen Zusammenhalt und Krisenfestigkeit eines Quartiers. Auch über wirtschaftliche, kulturelle, soziale Diskrepanzen innerhalb der Bevölkerung hinweg wirken sie als Quellen sozialräumlicher Resilienz.

Erwähnenswert ist, dass Oldenburg den Vorhang zu den Dritten Orten deshalb zu heben in der Lage ist, da diese besonderen Plätze seiner Beobachtung nach drohen vom Stadtplan zu verschwinden: morgens in das vor dem Haus in den Vorstädten geparkte Auto steigen, zur Arbeit fahren und abends in umgekehrter Richtung auf gleiche Weise zurück – so gestaltet sich schon in den 1980er Jahren der Tagesablauf sehr vieler US-Amerikaner*innen. Dazwischen kein fußläufiger Weg durchs Stadtquartier, zielgerichtet maximal zum Einkauf in die Mall. Deshalb stand die Sozialität von Städten als Ganzes auf dem Spiel in Oldenburgs Augen, bedingt durch ein „Problem des Raumes in den Vereinigten Staaten“ (vgl. Oldenburg 1989/91:8). Oldenburgs Verdienst war es, auf diesen bisher unbemerkten städtebaulichen Problemfaktor hinzuweisen und (öffentliche) Stadtplanung als notwendig geforderten Change-Actor aufzurufen.

Die Eigenschaften Dritter Orte

Oldenburg beschreibt diese Orte des Zusammenkommens als regelmäßig, freiwillig, informell und freudig aufgesuchte Begegnungsplätze, die zugleich wiederkehrende, charakteristische Aufenthaltsqualitäten aufweisen (vgl. ebd.: 16, 23 ff.). Ihre generalisierbaren Attribute bezeichnet er als 1.) ihre Lage auf neutralem Boden, zugänglich für jede*n, 2.) die geltende Gleichheit der Versammelten, unabhängig von Herkunft und sozialer Lage, 3.) ihre hauptsächliche Funktion der Kommunikation, des Gesprächs und kommunikativen Austauschs der Anwesenden, 4.) ihre Schwellenlosigkeit und leichte Zugänglichkeit für alle (wiederum unabhängig von sozialer und auch topografischer Herkunft, „Neue“ etwa sind willkommen, 5.) ihre Stammkunden, die „Regulars“, die sich oft dort aufhalten, zum Ort „dazu gehören“ und diesem dadurch eine eigene Atmosphäre, einen eigenen Stil oder Ton, ein besonderes Merkmal geben, 6.) dass sie schlicht gestaltet sind, nicht aufwändig gestylt und schick, sondern eher einfach und unprätentiös, 7.) dass der Aufenthalt dort weniger einem bestimmten Zweck und Ziel dient, sondern „spielerisch“ dem reinen Miteinander-Zeit-Verbringen gewidmet ist. Und schließlich 8.) dass sie ein „Zuhause außerhalb von zuhause“ (home away from home) sind, das dem und der Einzelnen die Möglichkeit gibt, sich mit „Gleichgesinnten“ zu treffen, die Chance, „man selbst sein“ zu können ohne etwaige in der Familie und oder im eigenen Zuhause aufkommende Konflikte bzw. Reibungen (vgl. ebd.: 135 ff.).

Kritische Nachfrage: Welche Art Orte beschreibt Oldenburg eigentlich?

Diese Attribute Dritter Orte rufen verschiedene Nachfragen auf. Etwa die, worüber wir sprechen, wenn Dritte Orte als „Zufluchtsort“ angesichts eines reibungsvollen Zuhauses Bedeutung haben. Oldenburg beschreibt das Geschehen an Dritten Orten fachlich allerdings mit einem weiten Rekurs in die Geschichte der Soziologie, indem er jenes „home away from home“ als Ort beschreibt, an dem Georg Simmels „reine Sozialität“ der Menschen sich auslebt (ebd.: 23).

Als typische Dritte Orte benennt Oldenburg insbesondere typische europäische Arten von Treffpunkten: den britischen Pub und deutschen Biergarten, das Wiener Kaffeehaus. Aber auch das türkische Teehaus. Die kritische Überlegung darf gestattet sein, ob es sich bei den genannten Versammlungsorten um tatsächlich inklusive Orte handelt. Sind sie zum Beispiel zugänglich auch für Menschen, denen es am Geld mangelt, um die Bestellung aufzugeben? Sind sie voraussetzungslos allen Menschen zugänglich, auch denen am sozialen Rand der Gesellschaft, allen Geschlechtern, Migrant*innen, Benachteiligten und unterrepräsentierten Bevölkerungsgruppen?

Eine weitere Frage lohnt sich zu stellen: Inwieweit darf ein Dritter Ort dem Konsum gewidmet sein, ohne dass der Charakter eines voraussetzungslosen Anziehungspunkts auf dem Spiel steht? Tatsächlich bediente sich die moderne Marketingtheorie ausdrücklich des Konzepts Dritter Orte, um verkaufsstarke Flagshipstores zu beschreiben, wo die Verweildauer von Kund*innen raffiniert gesteigert wird. Und handelt es sich bei den weltweiten Filialen von „Starbucks“ um einen Dritten Ort, an dem sich Menschen, umgeben von immer gleichem Design, treffen oder auch am Laptop arbeiten (und sich damit am Arbeitsplatz der digitalen Nomaden befinden), egal ob in New York, Hamburg, Budapest oder Tokio?

Gestaltung von Orten oder: Orte gestalten Räume

Gestaltung physischer Aufenthaltsqualität ist ein wichtiger Faktor in der Dritte Orte-Diskussion für den Kultursektor. Nicht umsonst fördert die Kulturstiftung des Bundes im Förderprogramm hochdrei Bibliotheken in ihrem Potenzial, sich zu Dritten Orten zu transformieren, für die es weit mehr Aufenthaltsgrund geben soll als den, Bücher auszuleihen. [2] Der als Designer und Raumplaner Dritter Orte-Bibliotheken profilierte Creative Guide Aat Vos liefert hierfür partizipative Gestaltungskonzepte und Designs, die ganze Stadtquartiere in die Bibliotheken spülen und Büchereien zum Lieblingsplatz für Menschen aller Altersgruppen machen sollen. Dem Konzept nach als Orte, die zugänglich sind auch ohne finanziellen Aufwand (vgl.: Vos 2016). [3]

Damit einhergehend werden Aufenthaltsqualitäten beschreibbar und zum Objekt von Design: etwa, dass die Besucher*innen das Gefühl haben, dazu zu gehören, dass sie zugleich angeregt und unangestrengt Zeit am Ort verbringen mögen. Und ganz physisch: eine angenehm empfundene Positionierung halb drinnen, halb draußen mit Blick auf das Geschehen draußen, etwa die vorbeieilenden Menschen. Licht und Raumtemperatur sind Faktoren, die ein angenehmes Aufenthaltsklima erzeugen, verbunden mit dem Gefühl „dort zu sein ist gut (für mich)“. Mit den Begiffen von Place Attachment und Place Concept werden die Phänomene der Zugehörigkeit (letzteres) und Wohlfühldesign (ersteres) konkret benennbar (vgl.: Pilzer  2018).

Zunächst denken wir bei solchen Dritten Orten an Stadträume. An urbane Treffpunkte, die auch ganz ungestaltet sein können, im Park etwa, wo sich die Menschen immer wieder einmal am Feld der Schachfiguren zum Plausch zusammenfinden. Oder auf den Routen der Gassigehrunden. Die interessierte Suche nach Dritten Orten im eigenen Umfeld motiviert dazu, den konkreten Schritten der Menschen zu folgen, ruft zum Mapping auf, also zum Herstellen topografischer Kartierungen der Wege der Bewohner*innen. Mit solchem Blick auf die sozialen und physischen Bewegungen öffnen sich eben: Räume. Und die räumliche Aneignung, die Menschen „durchgehen“, leuchtet auf als produktives, emanzipatorisches Projekt der Erschließung von Lebensumfeldern, auch jenseits der Städte. Dritte Orte im ländlichen Raum zu lokalisieren, diese ländlichen Treffpunkte zudem besonders durch Kunst und Kultur gestiftet zu begreifen, bedarf bestimmter theoretischer Voraussetzungen, die besonders mit dem Verständnis von Dritten Orten als Möglichkeitsräumen zusammenhängen.

Was brauchen ländliche Räume?

Ländliche Räume brauchen eine starke Wahrnehmung – noch konkreter gesagt: starke Wahrnehmungsräume, in denen sie sich „verdichten“ und sichtbar bleiben, auch wenn die Einwohner*innenzahl schrumpft. Wo die physischen Bewohner*innen als Raumhandelnde fehlen, bedarf es der kommunikativen Verdichtung, damit ein möglichst konkretes, im Idealfall positives lokales Image Kontur bekommt, ein „Etwas“ als Anker für regionale Identität der Bewohner*innen. Diese Kommunikation über das lokale „Vor-Ort“ nun allerdings entsteht besonders sprechend und ausstrahlungsstark als Begleitgeschehen von Community Dance-Projekten, partizipativen Theaterprojekten, Filmworkshops vor Ort oder Bandproben mit Jugendlichen, wenn es um ein regionales Projekt geht. Oder auch durch die Bearbeitung von Heimatgeschichte, dem Stoff, aus dem lokale Erzählungen gemacht sind, in Geschichtsvereinen, Heimat- oder Freilichtmuseen. Die Beschäftigung mit der lokalen Geschichte zu einer „coolen“ Tat zu machen, stellt in vielen Orten Niedersachsens ein charakteristisches Potenzial ländlicher Regionen dar. Womit wir bei der Frage sind: Was kann Kunst und Kultur, was können gerade ländliche Räume besonders gut, wenn es um regionale Innovation, Veränderung und Entwicklung geht? Dass es dort Potenzial gibt, belegt unter anderem das Vorhandensein eines eigenen Förderprogramms im Bundesland NRW, das zur konzeptbasierten Entwicklung von kulturellen Dritten Orten in ländlichen Regionen aufruft.

Belegtermaßen stellt der direkte Kontakt der Menschen untereinander und deren hohe Bereitschaft zur zivilgesellschaftlichen Teilhabe eine besondere Charakteristik ländlicher Räume dar. Im weiten Raum zwischen den Häusern und dem noch größeren Platz zwischen den entfernt liegenden öffentlichen Kulturinstitutionen bringt das ehrenamtliche Engagement der Bewohner*innen einen überaus relevanten Faktor ins Tableau ländlicher Kulturschauplätze. So paradox es auf den ersten Blick scheinen mag: Die weiten Wege und geringen Einwohner*innenzahlen erzeugen durch das gleichzeitig bestehende hohe Engagementlevel günstige Voraussetzungen nicht nur für das Vorhandensein, sondern auch für die Schaffung kommunikativer Treffpunkte in ländlichen Räumen.

Dritte Orte in ländlichen Räumen – und das „Darüber Reden“

Der kontinuierliche Diskurs über ländliche Räume und deren Konsistent-Werden etwa in der Definition der Raumbeobachtung des BBSR als messbar „periphere“ oder „sehr periphere“ Lagen in einer zugleich einheitlich gemessenen Verdichtungsskala bringt mit sich, dass auch das „Kulturmachen“ in ländlichen Regionen unter räumlichen Gesichtspunkten betrachtet werden kann. Ländliche Regionen sind gleichermaßen Handlungsorte und Räume, die zum Zusammenkommen und Kommunizieren an kulturellen Dritten Orten einladen.

Ländliche Räume werden nicht mehr verstanden als „das Andere“ zum Stadtraum, vielmehr bietet das relationale Raumverständnis mit seiner Auffassung vom „gemachten Raum“ die Grundlage dafür, Stadt und Land als in einem Kontinuum zusammenhängend, aber unterschiedlich verdichtet aufzufassen. Raum ist kein Container, in dem wir uns einfach befinden, sondern wird durch die Wege der Menschen und Positionen der Dinge erst gebildet. [4] Ungleiche soziale Machtverteilungen tragen zugleich dazu bei, dass manchen Menschen bestimmte Räume verschlossen bleiben, hervorgerufen ganz buchstäblich durch Hürden und Sperren oder habituell durch Zugehörigkeitsgefühle bzw. Ausschließungsempfinden. Ermächtigungen, wie sie etwa durch kulturelle Bildungsprozesse angestoßen werden können, bedeuten nicht selten: sich Raum zu verschaffen und räumliche Schwellen zu überwinden.

Raumwissenschaftlich sind Orte tatsächlich Treffpunkte, an denen sich die Wegachsen der Menschen (und Dinge) kreuzen. Einen konkreten Ort bringen nach der Raumsoziologin Martina Löw zwei verschiedene Aspekte unserer Betrachtung hervor. Löw spricht von Spacing und Syntheseleistung und meint damit erstens: Wo genau befindet sich dies? Und zweitens: Was bringen wir mit diesem Ort in Verbindung, was assoziieren wir mit ihm? (Löw 2001). Damit drückt Löw eine Doppelstruktur des Raumes aus: Er wird einerseits von Raumhandelnden (Dingen und Menschen) produziert, zugleich reproduziert Raum sich aber auch gewissermaßen selbst, indem er soziale Strukturen und bestimmte Assoziationen zu einem Ort abruft. Wenn also Ausschlussgefühle von der Art „Dieser Raum, dieses Opernhaus, ist nicht meines“ unterlaufen wird durch ein kreatives Happening und ein davon heraufbeschworenes Schlüsselerlebnis: „Ich gehöre sehr wohl an diesen Ort der Ausstellung, des Theaters, der Oper“, wird gewissermaßen eine soziale und zugleich räumlich bestehende Struktur aufgebrochen.

So wie Kommunikation an den Dritten Orten eine besondere Rolle spielt (wir erinnern uns: das dritte Merkmal der Dritten Orte Oldenburgs), so gilt auch der Raumsoziologie die Kommunikation von Akteur*innen in und über einen konkreten Raum als raumbildend. Die Raumwissenschaftlerin Gabriele Christmann beschreibt, wie das kommunikative In-Beziehung-Stehen der Bewohner*innen Quartiere und auch ländliche Regionen gestaltet, wie dabei – kurz gesprochen – „Image“ und regionale Identität hervorgebracht werden. [5] Anhand von Kommunikationsprozessen und -inhalten zwischen Einzelakteur*innen, Akteursgruppen, Netzwerken und Governance-Arrangements in konkreten Stadtteilen oder Regionen entsteht das Konzept einer „kommunikativen Raum(re)konstruktion“ (vgl.: Christmann 2016: 89-116).

Offenkundig also ergeben sich Entwicklung und Veränderung in Stadtteilen und Regionen durch Kommunikation. Kann Kunst und Kultur dazu etwas Entscheidendes beitragen und können kulturelle Orte dies befördern und selbst davon profitieren?

Das Potenzial von Kunst und Kultur in regionalen Entwicklungsprozessen offenbart sich in Form eines exponentiellen Produktivitätslevels. Partizipationsorientiertes Community-Building mit Kunst und Kultur vermag, Menschen einzubeziehen als Gestalter*innen, ja sogar als Produzent*innen ihres Lebensraumes. [6] Damit dies im Sinne einer erfolgreichen Entwicklung ländlicher Kulturorte geschieht, braucht es allerdings nicht nur einen Ort des Geschehens, sondern auch Zeit und Gelegenheit. Beispielhaft kann dies etwa am Fall des langjährig etablierten Theaterprojekts Landschaftstheater Heersum Kreis Hildesheim belegt (Drews 2017: 258ff) und veranschaulicht (Abb.1 und 2) werden.

Kulturorte in ländlichen Räumen als Dritte Orte weiterentwickeln. Anknüpfungspunkte für die Praxis

Abb. 1 und 2: „Mapping“ und „räumliche Verdichtung“ veranschaulicht anhand von Ansichten aus dem Landschaftstheater Heersum. Das Kunstprojekt generiert neue, vielfrequentierte Wege und dichte Präsenz von Menschen im dünn besiedelten ländlichen Raum des Kreises Hildesheim. | © Katja Drews

Die unterschiedlichen Kunst- und Kultursparten kennzeichnen diverse und nicht gleichartige Potenziale, um Mitakteur*innen zu involvieren im Sinne eines Dritten Ortes. Die Anlässe, aus denen sich Teilnehmende und Besucher*innen auf den Weg zu ihnen machen, sind entsprechend vielfältig. Sie unterscheiden sich zudem mit Blick auf unterschiedliche Zielgruppen, die involviert werden können und sollen.

Und schließlich gibt die jeweilige Trägerart von Initiativen, Vereinen oder Einrichtungen variantenreiche Eigendynamiken in Anspracheweise, Zielsetzung und Stattfinden des Kulturgeschehens vor. Noch am direktesten verstehen wir feste Einrichtungen als Orte, die aufgrund ihrer topografischen Position Umfelder adressieren können: soziokulturelle Zentren, Museen, Theater- und Konzertbühnen oder historische Stätten können dementsprechend direkt die Menschen der Umgebung mit Anreizen zum Besuch und zur Teilhabe an Programmen und Projekten anregen. Was aber besonders die eher stattfindenden Kunst- und Kulturformen, etwa Theater- und Musikprojekte, Community Dance oder Filmprojekte zeigen, ist, dass es um die besonders mit diesen Kunstsparten verbundenen Formen der Kommunikation geht, die zu einer deutlichen Sichtbarkeit des Geschehens beiträgt.  Denn abseits des Vorhandenseins eines physischen Ortes gelingt es auch diesen stattfindenden Kulturereignissen, einen kommunikativen „Ort des Geschehens“ zu konstituieren. Oft über eine lange Zeit hinweg, sodass regelrecht eine Prägung des umgebenden Sozialraums entsteht, etwa wenn die Bewohner*innen einer Region den Sommerurlaub über Jahre hinweg so planen, dass sie das Theaterprojekt anschauen können oder dort mitmachen.

Aus diesen Faktoren lassen sich spezifische Potenziale zum Herausbilden eines Treffpunkt-Charakters an kulturellen Einrichtung oder Projekten individuell für den Ort und seine Lage systematisieren. Fragestellungen oder Leitaspekte können dann sein:
 

Dimension des Räumlichen

  • Mit Blick auf die räumliche, topografische Lage: Welche Wege führen dorthin? Wer ist wie mobil? Wer kommt nicht dorthin und sollte darum neu buchstäblich „befördert“ werden, damit überhaupt ein physischer Treffpunkt entstehen kann?
  • Wie kann die „Offenheit“ des Raumangebots so attraktiv kommuniziert werden, dass er auch von vielen genutzt wird?
  • Welche Anknüpfungspunkte außerhalb des Kunst- und Kulturfeldes sind lokal vorzufinden, mit denen neue (oder neuinterpretierte) Kulturorte stärker bekannt werden?
  • Welche neuen Mitakteur*innen können gefunden werden, die die Präsenz des Kulturortes im Wahrnehmungsraum der Region erhöhen?
  • Wie können Stammkund*innen gewonnen werden und andererseits: Welche regulars, können durch Umakzentuierungen des Geschehens am Kulturort als neue Mitgestalter*innen des Ortes und der Kommunikation über ihn einbezogen werden?
  • Mit Blick auf die konkrete Lokalität und den Faktor Zeit: Welche lokalen Traditionen oder Themen können aufgegriffen und aktiviert werden, um Interesse und Teilhabe der Menschen im Umfeld des Kulturortes neu zu schüren und sie zu binden?


Soziale und gesellschaftliche Dimension

  • Mit Blick auf lokale sozialräumliche Bedarfe: Was braucht es? Und deren Potenziale: Was ist in der Nachbarschaft vorhanden, das den Kulturort stärken kann?
  • Welche Möglichkeit besteht, Neudefinitionen von bestehenden Räumen zu realisieren, Umwidmungen von Gebäuden zu Treffpunkten der (Selbst)Gestaltung u.a. durch Kunstprojekte, Kulturangebote?
  • Welche Potenziale bietet der Ort speziell mit Blick auf den Faktor Mitgestaltung, Weiterentwicklung von Quartieren/Regionen durch die Bewohner*innen? Gibt es hierfür Mitstreiter*innen aus anderen Sektoren?


Dimension von Kunst und Kultur

  • Wie können Kreativität und kulturelle Erlebnisse als Motor für lokale (Selbst)Gestaltungsprozesse fruchtbar werden, die wiederrum zur regionalen oder lokalen Identität beitragen?
Abb. 1 und 2: „Mapping“ und „räumliche Verdichtung“ veranschaulicht anhand von Ansichten aus dem Landschaftstheater Heersum. Das Kunstprojekt generiert neue, vielfrequentierte Wege und dichte Präsenz von Menschen im dünn besiedelten ländlichen Raum des Kreises Hildesheim. | © Katja Drews

Plädoyer für künftige Dritte Orte: „Worüber wir reden, das ist (wo es ist)“

Wenn nach der Zeit des sozialen Stillstands der Corona-Pandemie wieder reale Treffen möglich sind, scheinen Kulturorte gut beraten, wenn sie ihr krisenbedingt geschärftes Bewusstsein über den subjektiven, sozialen, gesellschaftlichen und auch wirtschaftlichen Wert von Treffpunkten, vom Zusammenkommen-Können gezielt und programmatisch einsetzen. Denn es ist naheliegend, dass gerade die kulturellen und kreativen Treffpunkte auf diesen Ebenen gesteigerte Nachfrage und auch Wertschätzung erfahren. Für ländliche Regionen heißt das: Die geringe Verdichtung ländlicher Räume, deren eher auseinanderliegende Position von Menschen und Dingen als positive Möglichkeitsräume zur Mitgestaltung nicht nur zu begreifen, sondern gezielt auszuspielen. Eine Maßnahme hierfür wäre, dass kulturelle Akteur*innen ländlicher Räume bewusst Wahrnehmungsräume (selbst) produzieren, indem sie ihre Akteursnetzwerke aus Besucher*innen, Empfehler*innen und Vermittler*innen zusammenbringen und zur Kommunikation über den eigenen Ort einladen. Auf social media-Kanälen, Internetseiten, in der örtlichen Zeitung ebenso wie auf Gemeindeversammlungen, beim Sportvereinstreffen wie auch bei Betriebsversammlungen. Kinder und Jugendliche in Ganztagsschulprojekten anzuregen, sich mit dem eigenen Raum auseinanderzusetzen und diesen dabei zu thematisieren, Kunst und Kreativität ins Dorf zu bringen und das Dorf selbst darin Gegenstand sein zu lassen.

Kulturelle Dritte Orte-Bildung kann folgerichtig als eine eigene Sparte des kreativen Community Buildings verstanden werden. Und das nicht nur realphysisch, denn die Präsenz eines Kulturortes kann ebenso gut nach dem Dritte Orte-Prinzip auch im digitalen Informationsraum entstehen. Dazu braucht es zum Beispiel eine partizipative digitale Geodatenlokalisation, der inhaltlichen Beschreibung lokaler kultureller Orte und Schauplätze. „Verdichtete Erzählung“ wäre dementsprechend dann ein zentrales und relevantes Ergebnis, das die Berücksichtigung des Konzepts der Dritten Orte als Bauplan für Kulturorte ländlicher Regionen mit sich bringt. Hierfür schließlich bedarf es dann wiederum professionellen Kulturpersonals und Künstler*innen, die den Wind of Change einer Region versiert „mastern“. Auch dies: lokal und individuell passgenau so, wie es angesichts der spezifischen Netzwerke und Akteur*innen vor Ort größtmöglich erfolgreich scheint. Ein Ziel dabei ist, den Heimatort in vielen Facetten und als lebenswert darzustellen. Vielleicht kann dies auch die Chance sein zu einem – zumindest lokalen und kreativen – Paradigmenwechsel einer auf Verdichtung ausgerichteten Lebenswirklichkeit. Letzterer schauen wir in der Coronazeit gerade immerhin beim temporären, wenn schon nicht Untergang, dann aber wohl „Aussetzer“ zu.

Fußnoten


[1] Schon im Titel beschreibt Oldenburg (1989/1991): „The great good place. Cafes, coffee shops, community centers, beauty parlors, general stores, bars, hangouts and how they get you through the day“.

[2] www.kulturstiftung-des-bundes.de/de/projekte/nachhaltigkeit_und_zukunft/detail/hochdrei.html

[3] www.aatvos.com/blog/the-ins-and-outs-of-third-placemaking-qa-with-aat-vos/

[4] Dünne et al. 2006: 19ff.

[5] Zum städtischen Kontext vgl.: Christmann 2018. Zu ländlichen Akteur*innen: Christmann/Federwisch 2016.

[6] Wie etwa Anne Gawda und Makusen anhand einer Fülle von Beispielen aus der US-amerikanischen (auch ländlichen) Praxis des Creative Placemaking dies ausführen. S.: Markusen, Ann; Gawda, Anne (2012).

Literatur:

  • Christmann, Gabriela B. (Hg.) (2016): Zur kommunikativen Konstruktion von Räumen. Theoretische Konzepte und empirische Analysen. Wiesbaden.
  • Christmann, Gabriela B. (2018): Städtische Raumpioniere, kommunikative Figurationen und Raum(re)konstruktionen in Quartieren. In: Hepp, Andreas; Kubitschko, Sebastian; Marszolek, Inge (Hg.): Die mediatisierte Stadt. Kommunikative Figurationen des urbanen Zusammenlebens. Wiesbaden, S. 121–138.
  • Christmann, Gabriela B.; Federwisch, Tobias (2016): Soziale Innovationen in Landgemeinden: wie sie entstehen und was sie begünstigt. In: Nachrichten des ARL, 49 (2), S. 26–28.
  • Drews, Katja (2017): Kulturtourismus im ländlichen Raum an „dritten Orten” der Begegnung als Chance zur Integration von Kultur-und Tourismusentwicklung. Eine Befragung von touristischen und einheimischen Kulturbesuchern in ländlichen Regionen Niedersachsens. Online: https://hildok.bsz-bw.de/files/729/Drews_Kulturtourismus.pdf (08.09.2020).
  • Dünne, Jörg; Günzel, Stephan; Doetsch, Hermann; Lüdeke, Roger (Hrsg.) (2006): Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften, Frankfurt am Main.
  • Löw, Martina (2001): Raumsoziologie. Frankfurt am Main.
  • Markusen, Ann; Gawda, Anne (2012): Creative Placemaking2.0. In: Grantmakers in the Arts Reader 23 (2). Online: http://www.giarts.org/article/creative-placemaking-20 (08.09.2020)
  • Oldenburg, Ray (1989/91): The Great Good Place. Cafés, Coffee Shops, Bookstores, Bars, Hair Salons and Other Hangouts at the Heart of a Community. Cambridge.
  • Oldenburg, Ray (2001): Celebrating the Third Place. Inspiring Stories about the «Great Good Places» at the Heart of our Communities. New York.
  • Pilzer, Harald (2018): Öffentliche Bibliotheken und “Dritte Orte”. Eine neue kulturpolitische Strategie? In: Kulturpolitische Gesellschaft. Kulturpolitische Mitteilungen161, II 2018, S. 49-53.
  • Schneider, Wolfgang (Hg.) (2014): Weißbuch Breitenkultur. Kulturpolitische Kartografie eines gesellschaftlichen Phänomens am Beispiel des Landes Niedersachsen. Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim; Niedersächsisches Ministerium für Wissenschaft und Kultur. Hildesheim. Online: www.mwk.niedersachsen.de/portal/live.php?navigation_id=6257&article_id=124465&_psmand=19  (08.09.2020).
  • Vos, Aat (2017), How to Create a Relevant Public Space. Rotterdam.
Ein Beitrag von
Dr. Katja Drews
HAWK Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim/Holzminden/Göttingen
Projekt FAkuBi – Felder und Akteur*innen kultureller Bildung in ländlichen Räumen.

Kurzbiografie

Neben ihrer langjährigen Praxistätigkeit im Kulturmanagement des ländlichen Raums und als kommunale Kulturreferentin vermittelt Katja Drews in Lehraufträgen Kulturmanagement, Kulturarbeit, Kulturelle Bildung und Vermittlung in angewandten Projektkontexten. 2017 Dissertation zum „Kulturtourismus im Ländlichen Raum an Dritten Orten der Begegnung“. Seit 2019 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zukunftszentrum Holzminden–Höxter an der HAWK Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst in Holzminden im Forschungsprojekt „FAkuBi. Felder und Akteur*innen in ländlichen Räumen“. Veröffentlichungen u.a. zu Kulturtourismus, Kunst und Raumsoziologie, Museumspädagogik.