Change als Daueraufgabe der Soziokultur
Eine Zusammenfassung von Konditionen, Fakten und Zahlen
Ein Beitrag von Ellen Ahbe

Quellen und Ursachen
Unablässiger Change gehört zu den Wesensmerkmalen von Soziokultur. Seit der Gründung der ersten Zentren vor etwa einem halben Jahrhundert ist sie durch Dynamik und damit durch ständige Konfrontation mit Veränderungen bestimmt.
Die Veränderungen resultieren vor allem aus
- inneren Entwicklungsprozessen der Einrichtungen selbst,
- Bedürfnissen von Teilnehmer*innen und Besucher*innen,
- dem hohen Anteil der Projektförderung an der öffentlichen Förderung der Zentren insgesamt,
- Anregungen von Kooperationspartner*innen,
- Anforderungen von Fördermittelgeber*innen,
- allgemeinem gesellschaftlichen und politischen Handlungsbedarf,
- durch Spender*innen und Sponsor*innen eröffneten neuen Möglichkeiten,
- sozialen, ökologischen, ökonomischen und demographischen Veränderungen,
- technischen Innovationen, insbesondere der Digitalisierung,
- europäischen und internationalen Entwicklungen, die sowohl zu neuen Möglichkeiten als auch zu krisenhaften Prozessen vor Ort führen.
In Netzwerken
Sowohl die einzelnen Mitgliedseinrichtungen selbst, als auch die Landesverbände und der Bundesverband haben große Kompetenz für das erfolgreiche Umgehen mit neuen Zielsetzungen bzw. mit veränderten Rahmenbedingungen erworben. Sie werden zunehmend von Partnern für neue Projekte angesprochen. Ihre Kooperationen bilden das breite Spektrum kommunaler Akteure ab. Sie finden statt mit Diakonien, Frauenhäusern, Stiftungen, Kirchen, Feuerwehren, Universitäten, der Denkmalpflege, Stiftungen, Schulen, der Flüchtlings- und Drogenhilfe, Kindergärten, Firmen und vielen anderen. 85 % der Zentren kooperieren mit Vertretern des politischen Bereichs, weit über den Kulturbereich und die Kulturverwaltungen hinaus. So arbeiten zum Beispiel 73 % mit dem Bildungsbereich, 53 % mit der Jugendhilfe, 52 % mit dem Stadtmarketing und 35 % mit dem Wirtschaftsbereich zusammen.
Unerwünschte Nebenwirkung
Die permanente Innovation – wie auch der hohe Anteil an Projektförderung – haben einen Preis. Der Anteil prekärer Beschäftigung nimmt bei gleichzeitig stark gewachsenen Leistungen zu. So verzeichnen wir im Zweijahreszeitraum zwischen unseren beiden letzten Datenerhebungen (Statistik 2017 und 2019) einen weiteren Rückgang unbefristeter und eine Zunahme befristeter Beschäftigungsverhältnisse, eine Abnahme der Vollzeitstellen, eine Zunahme der Teilzeitstellen von weniger als 50 % der vollen Arbeitszeit, der freien Honorar- und der 450-Euro-Kräfte.
”Erfolgreiches Change-Management erfordert ein Mindestmaß an Planungssicherheit. Viele Akteur*innen der Soziokultur finden diese nicht vor.
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Diverse Bedingungen
Als jeweils juristisch selbständige Personen führen die ca. 600 Mitgliedseinrichtungen des Verbands ihre Change-Prozesse in eigener Verantwortung durch. Dies geschieht unter der Bedingung doppelter Heterogenität.
Zum einen unterscheiden sich die soziokulturellen Zentren selbst sehr stark voneinander. Dies betrifft die Inhalte und Formate von Veranstaltungen, die gewählten Schwerpunkte der Arbeit und die eigenen Erfahrungen. Der Großteil der Mitgliedseinrichtungen engagiert sich bereits seit mehreren Jahrzehnten, manche seit einem halben Jahrhundert, während andere der Änderungsdruck vor Ort eben erst zur Gründung veranlasst hat.
So findet der Generationswechsel in den Leitungsstrukturen der früh gegründeten Häuser mit dem notwenigen Change-Management bereits seit ungefähr zwanzig Jahren statt. Gleichzeitig beginnen die Akteur*innen der jüngsten Zentren gerade damit, ihre eigenen Erfahrungen zu sammeln. Circa jede zehnte Mitgliedseinrichtung verfügt über keine eigenen Räume, knapp 350 betreiben selbst eine Veranstaltungsstätte und mehr als hundert nutzen über den Betrieb der von ihnen selbst gemieteten oder gepachteten Räume hinaus solche von Dritten.
Manche der Zentren arbeiten vollständig ehrenamtlich, andere haben – zu drei Vierteln in Teilzeit – bis zu 80 Mitarbeiter*innen angestellt. Zum anderen unterscheiden sich die Rahmenbedingungen der soziokulturellen Zentren stark.
In den dichtbesiedelten Problemquartieren der Großstädte müssen sich die Einrichtungen zwischen einer großen Anzahl kommerzieller Kulturanbieter behaupten und andere soziale Aufgaben bewältigen, als das in strukturschwachen Gegenden der Fall ist, wo dann aber zum Beispiel bereits die Verkehrsanbindung zum Problem wird.
Unsere Mitgliedseinrichtungen arbeiten auch unter sehr unterschiedlichen politischen Rahmenbedingungen, die sich nicht zuletzt in sehr unterschiedlicher öffentlicher Förderung ausdrücken. Vor der Pandemie erwirtschafteten die Soziokulturellen Zentren insgesamt 97 Millionen Euro selbst, 61,5 Millionen Euro wandten die Kommunen für sie auf, 41,5 Millionen Euro die Länder und 12 Millionen Euro der Bund. Konkret sieht das dann so aus, dass östlich des Harzes das Land Sachsen-Anhalt bei kommunaler Armut keinerlei institutionelle Förderung der Soziokultur aus seinem Haushalt trägt, westlich im Land Niedersachsen auch Besserungsbedarf besteht, der Landesverband Soziokultur aber seit 1989 institutionell gefördert wird, das MWK jährlich 500.000 Euro für Investitionen vergibt und das Parlament für alle kleinen Kulturvereine ein Investitionsprogramm in Höhe von 2,5 Millionen Euro aufgelegt hat. Im Süden sorgt Baden-Württemberg mit seinem Zwei-zu-eins-Konzept der institutionellen Förderung der Soziokultur (1 Euro Landesförderung je 2 Euro kommunaler Förderung) für die vergleichsweise stabilsten Bedingungen, während Bayern sich immer noch sehr schwer tut mit den innovativeren und fluideren Konzepten der Subkultur, die ja einen großen Teil der Soziokultur ausmachen. Erfolgreiches Change-Management erfordert ein Mindestmaß an Planungssicherheit. Viele Akteur*innen der Soziokultur finden diese nicht vor.
Verantwortlichkeiten
Egal, ob es sich um den Generationswechsel, um die Entwicklung neuer Strukturen, Programme und Konzepte handelt – die unmittelbare Verantwortung für den Erfolg der Prozesse tragen die Einrichtungen selbst. Sie stehen zuerst gegenüber den Trägerinstitutionen wie Vereinen oder GmbHs, deren Mitgliedern und Satzungen und Vorständen in der Pflicht, dann gegenüber ihren Kooperationspartner*innen, Teilnehmer*innen und Besucher*innen. Wir freuen uns sehr, dass die Stiftung Niedersachsen soziokulturelle Einrichtungen in ihrem Land bei den anspruchsvollen Changeprozessen unterstützt.
Aufgabe des Bundesverbandes Soziokultur ist es, aus den unterschiedlichen Kompetenzen der Landesverbände und Mitgliedseinrichtungen Synergien zu entwickeln und mit flankierenden Maßnahmen Unterstützung zu leisten.
Das stellt hohe Anforderungen an die verbandsinterne Kommunikation. Was die Feststellung von Bedarfen an Informationsaustausch, Wissensvermittlung und Interessenvertretung im öffentlichen Diskurs sowie die Formulierung strategischer Aufgabenstellung betrifft, leitet und führt der Vorstand des Bundesverbands die Kommunikation.
Ihm stehen dafür von den eigenen Sitzungen über Mitgliederversammlungen, Seminare, Workshops, über die Durchführung zielgerichteter Projekte und die Organisierung von Kulturberatung bis zur Website und der Verbandszeitschrift SOZIOkultur eine Vielzahl von Instrumenten und Methoden zur Verfügung.
Auf dem Management des Generationswechsels liegt zum Beispiel seit Jahren die Aufmerksamkeit des Bundesverbands und der meisten Landesverbände. Das war auch thematischer Schwerpunkt einer Ausgabe der SOZIOkultur. Unsere jüngste Datenerhebung spricht für Erfolge auf diesem Gebiet. Seit 2016 hat sich die altersmäßige Zusammensetzung der im Verband sozialversicherungspflichtig Beschäftigten positiv geändert. Der Anteil der unter 40-Jährigen stieg von 32,7 auf 36,9 %. Auch bei den Personen mit Entscheidungsbefugnis ist er nicht gesunken, sondern hat sich leicht erhöht.
Konzept „Jetzt in Zukunft“
Ähnlich wie auf dem Generationswechsel liegt die Aufmerksamkeit des Verbandes seit Jahren auch auf dem Problemkomplex der Nachhaltigkeit. Hier Erfolge oder Misserfolge im Ganzen festzustellen, wäre bis vor Kurzem schwer gefallen. Auch deshalb hat sich der Vorstand entschlossen, ein Kooperationsangebot des Instituts für Kulturpolitik der Universität Hildesheim anzunehmen. Der Vorschlag lautete, mit wissenschaftlicher Unterstützung zu untersuchen, welche der Methoden, Schwerpunkte und Perspektiven des vom Rat für Nachhaltige Entwicklung erarbeiteten Deutschen Nachhaltigkeitskodex (DNK) in Einrichtungen der Soziokultur Anwendung finden können, um Fortschritte zu erreichen und auch messen zu können. Der DNK wurde ursprünglich für die Wirtschaft entwickelt und richtet sich auch nach mehreren Modifizierungen in Richtung höherer allgemeiner Praktikabilität immer noch hauptsächlich an diese.
Im Unterschied zu Vorständen von Wirtschaftsunternehmen gibt es für kein Gremium des Bundesverbands Soziokultur im Blick auf die internen Prozesse der Mitgliedseinrichtungen irgendeine Art von Weisungsrecht. Das bedeutet, dass den Kommunikationsprozessen noch größere Bedeutung zukommt. Es geht in ihnen darum, die unterschiedlichen Erfahrungsschätze, das Praxiswissen und die Kompetenzen der Einrichtungen allgemein wirksam zu machen; Synergien, Motivationen und Akzeptanz für den notwendig anfallenden bürokratischen Aufwand zu entwickeln.
Mit diesem Ziel haben wir im Frühjahr 2018 einen Workshop durchgeführt. Daran nahmen Vertreter*innen von Landesverbänden und Mitgliedseinrichtungen aus acht Bundesländern, aus der Bundesgeschäftsstelle und aus dem Redaktionsteam der SOZIOkultur sowie vom Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim teil.
Die herauszukristallisierenden und zu vereinbarenden Kriterien, Kennziffern und Indikatoren sollten gleichzeitig Grundlage der ersten umfassenden Datenerhebung zum Ist-Zustand der Nachhaltigkeitsarbeit in den Einrichtungen der Soziokultur sein.
Die Teilnehmer*innen gelangten zu der Auffassung, dass der DNK tatsächlich eine wertvolle Orientierungshilfe in dem komplexen Feld darstellt. Als Wirkungsfelder bestimmten sie: Strategie, Prozesse, Politik & Finanzen, Umwelt und Gesellschaft. Jedes davon wurde in einer Arbeitsgruppe gründlich diskutiert, um die ausufernden Details und Facetten des komplexen Themas zu erfassen. Im Ergebnis entstand ein umfangreicher Fragen- und Vorschlagskatalog, der genau das leistet, ohne sich dabei über den Köpfen der Akteur*innen zu bewegen.
Erste Ergebnisse
Im Frühjahr 2019 fand auf dieser Grundlage die erste Datenerhebung zur Nachhaltigkeit in den Mitgliedseinrichtungen der Soziokultur und deren statistische Auswertung statt. Trotz des beachtlichen Aufwands haben 245 Einrichtungen teilgenommen. Die Ergebnisse können bei späteren Erhebungen als Vergleichsmaßstab dienen.
Hier eine kleine Auswahl:
Während 2017 bei der Datenerhebung 27 % der Einrichtungen das Feld „Umwelt/Ökologie“ als Arbeitsschwerpunkt benannten, gaben aktuell 46 % an, dass „Nachhaltigkeit“ eine Rolle in ihrem Programm spielt, weitere 28 % drückten aus, dass sie darauf hin arbeiten. 61 % der soziokulturellen Zentren orientieren sich an „Nachhaltigkeit“ bzw. „Zukunftsfähigkeit“ als Leitbild.
Die nahezu 100 konkreten verbalen Ausführungen der Einrichtungen zeigen, dass sie bereits seit Jahren von einer Vielzahl von Ansatzpunkten aus mit zukunftsfähiger Arbeitsweise und Zukunftsfähigkeit als Bildungsaufgabe befasst sind. Die Beispiele reichten von „Abfall, Essen und Trinken“, „Foodsharing etc.“, „Bildung von allen sozialen und Altersgruppen für nachhaltige Entwicklung“ oder „Repaircafé, Upcycling-Kunst“ und „Fahrradwerkstatt“ über „Selbstverpflichtung Klimaschutz“ bis „Veranstaltungen von/mit Kooperationspartnern“.
Zukunftsfähigkeit bestimmt in zahlreichen Mitgliedseinrichtungen die Gestaltung der Arbeitsprozesse. 44 % nutzen Strom aus erneuerbaren Energien, weitere 22 % streben das an. 27 % haben in den letzten fünf Jahren eine Energieberatung durchgeführt, 14 % beabsichtigen, das zu tun. Ressourcenverbrauchsziele werden in 20 % der Einrichtungen verfolgt, 28 % streben das an. Auf Fairtrade, Bio-Siegel und recycelbare Materialien achten bei der Beschaffung 68 % der Zentren. Knapp 90 % der Zentren können mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreicht werden. 3 % bieten ÖPNV-Kombitickets an. Zwei Drittel der Einrichtungen weisen auf ihren Websites auf die ÖPNV-Anbindung hin.
Das Thema Zukunftsfähigkeit hat sich von Umweltfragen aus entwickelt, wird aber längst viel komplexer behandelt, auch in den soziokulturellen Zentren. Da die Zukunftsfähigkeit der Einrichtungen selbst unmittelbar von der Kompetenz der Akteur*innen abhängt, bieten 74 %ihren Mitarbeiter*innen eine Vielzahl an Fortbildungsmöglichkeiten. 33 % der Einrichtungen engagieren sich bewusst für die Gesundheit der Mitarbeiter*innen, 27 streben das an. Zukunftsfähigkeit spielt im Arbeitsalltag der Einrichtungen eine große Rolle, als strategisches Instrument hingegen selten.
Der Deutsche Nachhaltigkeitskodex (DNK) wurde ursprünglich für die Wirtschaft formuliert, dass er inzwischen weiterentwickelt wurde und auch in Institutionen und Einrichtungen zur Anwendung kommen kann, ist noch wenig bekannt. Der DNK ist lediglich 11 % der Zentren bekannt, 45 % möchten mehr darüber erfahren.
Die Erfahrungen in Unternehmen und Einrichtungen haben gezeigt, dass die besten Ergebnisse dort erreicht werden, wo zu bearbeitende Themen in konkrete persönliche Verantwortung gegeben werden. Verantwortliche Mitarbeiter*innen oder Arbeitsgruppen für das Thema Zukunftsfähigkeit gibt es bislang in 22 % der befragten Zentren, weitere 27 % planen, solche konkreten Verantwortlichkeiten festzulegen. Nach konkreten Kennzahlen arbeiten 25 % der Zentren, jedoch verfolgen lediglich 7 % deren Erreichung in einer regelmäßigen Berichterstattung.
Der Bundesverband wird die Befragung bei künftigen Datenerhebungen wiederholen und die ablesbaren Entwicklungen beobachten und auswerten, um erforderlichenfalls für den weiteren erfolgreichen Change in Richtung Nachhaltigkeit weitere Initiativen und Maßnahmen zu ergreifen.
Inzwischen hat die Arbeit im Projekt „Jetzt in Zukunft“ ein Grundgerüst für das Change-Management im Blick auf Nachhaltigkeit bzw. Zukunftsfähigkeit hervorgebracht. Er kann auch in anderen Kultureinrichtungen Anwendung finden. Wir stellen ihn als best practice gern zur Verfügung.
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